Ökolandbau und urbane Landwirtschaft

verfasst am 10.07.2014 von Diethelm Schneider

Weil er sehr gut die Leistungen und Vorteile des Ökologischen Landbaus darstellt, zitiere ich hier einen Beitrag aus dem Pestizid-Brief des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN):

Ökolandbau und urbane Landwirtschaft in Kuba

 08.07.2014,  PAN Germany Pestizid-Brief 7-2014 

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  Carina Weber (1) im Gespräch mit Fernando Funes-Monzote, Universität Mantanzas, Kuba (2)

  Der Zusammenbruch der UdSSR führte Anfang der 1990er Jahre in kürzester  Zeit zu einer Auflösung der bestehenden Außenhandelsstrukturen Kubas.  Dies traf die industrielle kubanische Agrarproduktion und die  Lebensmittelversorgung Kubas im Kern. Carina Weber hatte damals die  Gelegenheit, in Kuba mit VertreterInnen staatlicher Einrichtungen und  Bauernorganisationen sowie mit privat wirtschaftenden Bäuerinnen und  Bauern zu sprechen und veröffentlichte gemeinsam mit Jürgen Knirsch die  PAN-Publikation "Ökolandbau in Kuba - Fiktion oder Wirklichkeit?"(3).  Rund zwei Dekaden nach der großen Krise spricht sie nun mit dem  kubanischen Agrarexperten Fernando Funes-Monzote über die damalige  Situation sowie die Rolle des Ökolandbaus und der urbanen Landwirtschaft  im heutigen Kuba.

Carina Weber: In der durch massiven Mangel geprägten  "speziellen Situation in Friedenszeiten"(4) war Kuba Anfang der 1990er  Jahre gezwungen, die plötzliche Knappheit von Lebensmitteln, Pestiziden,  Düngemitteln und Treibstoff irgendwie zu kompensieren. Welche Wirkung  hatte dies auf die Agrarstruktur?

Fernando Funes-Monzote: Einer der wichtigsten Trends  war sicher die Dezentralisierung. In der Regierung gab es nicht  wirklich den dezidierten Willen zur Dezentralisierung - es war vielmehr  eine Notwendigkeit, weil viele zuvor importierte Produkte zur  Aufrechterhaltung der industrialisierten Landwirtschaft fehlten. Die  Antriebskräfte zur Dezentralisierung kamen vor allem von den Produzenten  bzw. aus dem Agrarsystem. Die Dezentralisierung resultierte aus dem  Versuch von Menschen, bei stark reduziertem Import von Düngemitteln,  Pestiziden und Kraftstoffen für die landwirtschaftliche Produktion  gleichwohl die eigene Versorgung und die Ernährung des Landes  sicherzustellen. Parallel dazu gab es das Interesse der Regierung an  einer Selbstversorgung des Landes.

Heute ist die kubanische Agrarstruktur viel dezentralisierter als  damals. Während der Staat Anfang der 1990er Jahre etwa 80% der  landwirtschaftlichen Flächen besaß, sind es heute nur noch rund 20%.  Allerdings sind die Entscheidungsstrukturen noch mangelhaft, etwa  bezüglich der Frage nach der Relevanz von Agrarprodukten auf dem Markt  oder bezüglich der Frage, wie Bauern eigenverantwortlicher die  Vermarktung ihrer Produkte organisieren können. Hier gibt es  Initiativen. Zum Beispiel untersucht die Regierung gegenwärtig, auf  welche Weise die Agrarstruktur so verändert werden kann, dass die  Verluste in der Lebensmittelkette reduziert werden.

Carina Weber: Als die Importe kurzfristig stark  zurückgingen, war der kubanische Substitutionszwang extrem hoch. Wer  waren die hauptsächlichen Akteure, die sich dieser Herausforderung  stellten?

Fernando Funes-Monzote: Kuba musste sich mit den  verbliebenen Möglichkeiten sehr schnell an die neue Situation anpassen -  das Land musste ernährt werden. Sowohl Bauern, wie auch Politiker,  Techniker und Forscher waren gezwungen, zunächst erst einmal nur über  den nächsten Schritt nachzudenken und zu überlegen, was getan werden  kann, um mit neuen Inputs einen guten Ertrag zu erzielen. Die neuen  biologischen Verfahren wurden durch Bauern entwickelt und durch die  Regierung gefördert.

Ein Blick auf die gesamte bisherige Zeit seit der großen Krise zeigt,  dass es Zyklen gab, in denen mehr chemische Düngemittel und Pestizide  vorhanden waren. Insgesamt betrachtet ging die Verfügbarkeit aber zurück  - abgesehen von einigen Anbauprodukten wie Tabak oder Zuckerrohr.

Heute ist die Verfügbarkeit von Öl, chemischen Düngemitteln und  chemischen Pestiziden sogar noch niedriger als zu Beginn der 1990er  Jahre. Die Nutzung von Kompost, Wirtschaftsdünger, Gründüngung,  erweiterten Fruchtfolgen und Mischkulturen sind etablierte Komponenten  der Pflanzenproduktion. Studien zeigen allerdings, dass Bauern und  Agrartechniker überlegen, bei verbessertem Zugang zu konventionellen  Inputs auf diese dann wieder verstärkt zurückzugreifen. Deshalb fördern  wir mit unserer Arbeit das ganzheitliche Modell von Landwirtschaft auch  als wissenschaftliches Modell zur Deckung des kubanischen Bedarfs an  Nahrungsmitteln und sonstigen Agrarerzeugnissen. Schließlich konnte der  Ökolandbau einen erheblichen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten. Agrarökologische Ansätze der Landwirtschaft profitieren von regionalen  Strategien. Es gibt erfolgreiche Projekte, die hohe Produktivität,  betriebswirtschaftliche Effizienz und auch gute soziale Ergebnisse  aufweisen. Allerdings ist die Koordinierung nicht gut und zu viele  Entscheider tendieren zu einer Re-Implementierung des konventionellen  industriellen Systems. Gerade letzten Monat wurde ein neues Experiment zur Direktvermarktung  von Düngermitteln und Pestiziden gestartet. Damit müssen dann Bauern  nicht mehr auf die staatliche Verteilung warten, sondern sie können  diese Produktionsmittel direkt erwerben. Ich gehe davon aus, dass die  Bauern nicht genug Geld haben werden, um die dann teureren Chemikalien  zu kaufen, so dass ein neuer Mechanismus entstehen könnte, im Rahmen  dessen der Staat die Bauern statt der Chemikalien subventioniert.

Carina Weber: Wer sehr plötzlich auf chemische  Pestizide verzichten muss, braucht Alternativen. In Kuba gab es Anfang  der 1990er Jahre Labore zur Erzeugung von Nützlingen für den  biologischen Pflanzenschutz, die eine längere Tradition hatten, obwohl  die kubanische Landwirtschaft vor den 1990ern stark industrialisiert  war. In der Notsituation konnte dann glücklicherweise auf diese CREEs,  die Centros de Reproducción de Entomófagos y Entomopatógenos (5),  zurückgegriffen werden. Wie schätzen Sie die damalige und die heutige  Rolle dieses Forschungszweiges ein?

Fernando Funes-Monzote: Die Infrastruktur der CREEs  wurde in den 1980er Jahren wesentlich mit Blick auf den Pflanzenschutz  in den Monokulturen der Exportproduktion geschaffen, also z.B. für den  Anbau von Zuckerrohr und Tabak. Seither gab es viel Forschung im Bereich  des biologischen Pflanzenschutzes, so dass Kuba über einen  außerordentlich hohen Kenntnisstand verfügt. Zur Zeit der großen Krise  wurden die Zentren staatlicherseits in großem Umfang gefördert, damit  sie Inputs für die gesamte Landwirtschaft und den Gartenbau zur  Verfügung stellen. In den vergangenen 20 bis 25 Jahren gab es jedoch  deutliche Schwankungen im Förderaufwand für diese Zentren. Je mehr Geld  zur Verfügung stand, desto weniger Förderung erhielten die CREEs. Viele  der CREEs wurden sogar geschlossen. Aktuell gibt es neue Einrichtungen,  um die Aktivitäten wieder auszubauen.

Carina Weber: Ich traf damals Menschen, die im  Gemüsebau mit sogenannten Organoponicos sehr hohe Erträge  erwirtschafteten. Das waren Kompostbeete, die sowohl auf dem Land wie  auch in der urbanen Landwirtschaft angelegt wurden. In den Beeten wurden  die unterschiedlichsten Gemüsesorten gemischt angebaut.  Schädlingsprobleme waren nicht erkennbar. Haben sich die urbane  Landwirtschaft, die Organoponicos und der Mischanbau langfristig  bewährt?

Fernando Funes-Monzote: Urbane Landwirtschaft war  eines der wichtigsten Programme des Landes. Sie entstand aus der  Mobilisierung von Menschen zur Überwindung des Nahrungsmittelmangels.  Menschen begannen in den Städten zu produzieren. Die meisten von ihnen  kamen vom Land. Auch die Regierung richtete ihre Aufmerksamkeit auf die  Möglichkeiten der urbanen Landwirtschaft. Dadurch nahm die Anzahl der  hiermit befassten Personen wie auch die so genutzte Fläche und die Menge  der in der urbanen Landwirtschaft produzierten Agrargüter zu. Die  Erfolge sind immens. Es gibt rund 383.000 urbane Bauern. Die Fläche  unter urbaner Landwirtschaft beträgt 50.000 Hektar zuvor anderweitig  nicht genutzten Landes. Gute Produzenten erreichen einen Ertrag von 20  kg/m2 essbarer Agrarprodukte pro Jahr - ohne den Einsatz von  synthetischen Chemikalien. In den vergangenen fünf bis acht Jahren wurde  das Urmodell der urbanen Landwirtschaft auch für sub-urbane Regionen  entwickelt, indem in größeren Einheiten auf Flächen in der Umgebung der  Städte gewirtschaftet wird.

Ein großes Problem ist allerdings die Verbesserung der  Betriebesabläufe entlang der Kette und zwar mit Blick auf Transport,  Lagerung, Verarbeitung und Verpackung. Aufgrund von Mängeln erreichen  bisher zu viele Agrarprodukte nicht die Verbraucher - hier meine ich  nicht nur die Privatverbraucher, sondern auch zum Beispiel  Lebensmittelverarbeiter, Restaurants und Hotels.

Carina Weber: Mitten in der Krise wurde 1992 auch  unter Ihrer Beteiligung die Asociación Cubana de Agricultura Orgámica  (ACAO) gegründet und ein Jahr später, 1993, fand der erste kubanische  Ökolandbaukongress (Primer Encuentro Nacional de Agricultura Orgánica)  statt. Welche Rolle spielt der Ökolandbau heute in Kuba?

Fernando Funes-Monzote: Während der gesamten Zeit  seit Beginn der 1990er Jahre waren viele Stakeholder offen für  Ökolandbau und gleichzeitig auch für die konventionelle Landwirtschaft.  Heute existieren in Kuba zwei extreme Agrarmodelle nebeneinander: Das  intensive Modell mit hohem Einsatz externer Produktionsmittel und das  seit den 1990er Jahren entwickelte Modell mit niedrigem Einsatz externer  Produktionsmittel, das ökosystemare Ansätze nutzt.

Es gibt eine Vielfalt von Meinungen. Interessant ist aber, dass es in  Kuba seit 1998, als gentechnisch veränderte Nutzpflanzen freigesetzt  wurden, keine einzige Institution gibt, die diese Technologie offen  kritisiert. Ich war eine jener Personen, die sich damals für eine  Debatte über diese Technologie einsetzte und publizierte ein Buch  darüber, was wir gewinnen und verlieren könnten. Gleichwohl gab und gibt  es kaum Diskussion und dies ist leider auch ein Indikator dafür,  welches Mobilisierungspotential existiert, das agrarökologische Modell  zu verteidigen und auszubauen.

Wir müssen neue Wege beschreiten, um die organische, agrarökologische  Landwirtschaft weiter zu stärken. Es ist eine große Herausforderung,  weil neue Kräfte wie zum Beispiel ausländische Investoren die  Rückentwicklung der Landwirtschaft hin zum industriellen Modell  begünstigen.

Carina Weber: Bitte wagen Sie zum Schluss noch eine  Vorhersage. Wie wird die kubanische Landwirtschaft in 10 Jahren  aussehen? Wird die Rolle der ökologischen Landwirtschaft gestärkt sein?  

Fernando Funes-Monzote: Wenn ich 10 Jahre  vorausblicke, sehe ich nicht unbedingt das agrarökologische Paradies. Es  wird vermutlich weiterhin unterschiedliche Anbausysteme nebeneinander  geben. In welchem Verhältnis kann ich heute nicht sagen. Politiker  neigen dazu, nur auf den Ertrag zu achten und die Qualität zu  vernachlässigen, besonders mit Blick auf die Ökologie. Die große  Herausforderung wird sein, die ökosystembasierte Landwirtschaft  langfristig zu etablieren, weiterzuentwickeln und auszubauen. Deshalb  ist es jetzt wichtig, die erreichten Erfolge auch gesetzgeberisch zu  schützen und zu stärken.

Ich möchte in diesem Zusammenhang gern noch auf Ihre Publikation aus  den 1990er Jahren zurückkommen. Sie haben damals den Titel "Ökolandbau  in Kuba - Fiktion oder Wirklichkeit" gewählt. Für die heute Situation  kann ich definitiv sagen, dass Ökolandbau in Kuba keine Fiktion ist,  sondern Realität. Kuba hat es geschafft, mit geringem Verbrauch von  Energie, chemischen Düngemitteln und Pestiziden hohe Erträge zu erzielen  und damit aus der Investition in Forschung und Entwicklung einen  höheren Nutzen zu erzielen, als es in der kostenintensiven  industrialisierten Landwirtschaft mit ihrem gentechnischen Ansatz der  Fall ist. Der kubanische Ökolandbau ist in eine Struktur von  Organisationen eingebettet und basiert auf der Erkenntnis von Menschen,  dass die Natur geschützt werden muss und die landwirtschaftliche  Erzeugung sowohl auf dem Land wie auch in der Stadt nicht nur  quantitativ sondern auch qualitativ verbessert werden muss. Der Umbau  eines ganzen Agrarsystems eines Landes ist nicht in 20 Jahren machbar.  Auf jeden Fall wird es auch in Zukunft Entwicklungszyklen geben.


Zum Weiterlesen
 Altieri/Funes-Monzote (2012): The Cuban Agriculture's Paradox - the  Persistence of the Agroecological Paradigm and the Emergency of  Biotechnology. Monthly Review, January 2012

  Anmerkungen
 (1) Carina Weber ist Geschäftsführerin von PAN Germany und Mitglied des Vorstandes von PAN International
 (2) Fernando R. Funes-Monzote ist einer der Gründungsmitglieder  der kubanischen Gesellschaft für organische Landwirtschaft
 (3) Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (1998): Ökolandbau in Kuba -  Fiktion oder Wirklichkeit. Autoren: Carina Weber und Jürgen Knirsch.  Hamburg.
Verfügbar unter: http://www.pan-germany.org/download/Oekolandbau_in_Kuba_scan.pdf
 (4) So die in Kuba damals oft verwendete Bezeichnung.
 (5) Zentren für die Produktion von Entomophagen, also Organismen,  die als Räuber Insekten aller Entwicklungsstadien fressen oder als  Parasiten aus ihnen Nahrung gewinnen und zur Produktion von  Entomopathogenen, also von Krankheitserregern von Insekten. 
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Quelle: http://oekologie-forum.de/Druckansicht_kolandbau-und-urbane-Landwirtschaft_255.html