Gute Augen sind kein Zufall

Die Zeitung berichtete vor kurzem, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass Menschen, die als Kinder viel draußen gespielt haben, bessere Augen haben als solche, die viel drinnen waren. Können Sie sich vorstellen, wo der Zusammenhang liegt?

Die Antwort, dass die Kinder, die drinnen waren, wahrscheinlich viel vor dem Bildschirm saßen und das bekanntlich Kurzsichtigkeit fördert, kann zwar zutreffen, greift aber noch zu kurz.

Tatsächlich ist es so, dass der Mensch nicht als fertiger Erwachsener auf die Welt kommt. In der Jugend (vor allem in der Frühphase) werden noch zahlreiche Nervenverschaltungen geknüpft, andere (falsch verschaltete) still gelegt. Ein gut funktionierender Wahrnehmungsapparat kann sich nur entwickeln, wenn die vorhandenen Sinne auch genutzt werden.

Darüber hinaus ist der Mensch bezüglich seines Sehsinns auf Mustererkennung optimiert. Um dies zu trainieren ist eine vielfältige, nicht monotone Umwelt notwendig. Erst in einer nicht vorhersehbaren Umwelt kommt Musterkennung voll zur Entfaltung, weil sie erst hier ihre Vorteile zeigen kann.

Wohnungen sind verglichen damit sehr vorhersagbar und flächig. Dort ist das Gehirn mit Mustererkennung eher unterfordert.
Wer sich also vor allem in seiner Jugend hauptsächlich in einer monotonen, vorhersagbaren Umwelt (Innenräume) bewegt, dessen Sinnesleistung wird wenig gefordert und damit nicht ausreichend trainiert.

Auch eine bunte Welt auf dem Bildschirm bietet dieses Training nicht, weil der unmittelbare Erfahrungszusammenhang zwischen einem Bild-Sinneseindruck und seiner räumlichen Anordnung, Größe und Struktur nicht erfahrbar ist. Das Gehirn kann daher nicht unmittelbar eigene Regeln aus der Seh- und Raumerfahrung konstruieren. Vielmehr ist die eigene Wahrnehmung immer auf die Wahrnehmung des Produzenten festgelegt - bei Tierfilmen ebenso wie bei Computeranimationen.

Bei Computeranimationen kommt dazu, dass das Wissen der Produzenten über Abhängigkeiten in der Natur unter Umständen marginal ist. In diesem Fall werden sich auch völlig falsche Vorstellungen über die Natur und ihre Eigenschaften festsetzen.
Nehmen Sie z.B. 'Second Life'. Dort ist diese virtuelle Welt unbegrenzt, sie können also neue Kontinente kreieren und neue Landschaften. Kausalzusammenhänge von Boden, Klima und Pflanzen- und Tierwelt existieren dort nicht. Vielmehr hängt alles von der Phantasie des einzelnen ab. Also so wie in der Puppenstube aus Kindertagen, wo Sie die Regeln bestimmt haben. 'Second Life' ist daher korrekt auch mit 'Virtuelle Puppenstube' zu übersetzen, nicht mit 'Zweites Leben'.


Wenn Sie sich für diesen Themenbereich interessieren, empfehle ich Ihnen den Vortrag 'Natur verstehen - was uns Landschaften über ihre Entstehung erzählen können'.

Am 19.10.2008 von Diethelm Schneider verfasst.