Bedrohte Vielfalt?

Zur für den 15.6.2014 angesetzten Führung 'Landwirtschaft und Biologische Vielfalt - ein Widerspruch?' brachte das Schaufenster Bonn am 19.7.14 den Beitrag 'Bedrohte Vielfalt?, den es leider nur auf Papier gibt, aber hier online gestellt wird:

 

Und die Feldlerche singt

Bonn (we). Es wird überwiegend von der Landwirtschaft genutzt. Das Meßdorfer Feld, 170 Hektar groß und von vielen Interessengruppen stark umworben, ist für Biologen und andere naturnah denkende Menschen ein Füllhorn angeregter Diskussionen. Immer geht es dabei um die Frage, wie die Artenvielfalt auf dem Feld mit den Erfordernissen der modernen Landwirtschaft übereinstimmt. "Sehen Sie hier", sagt Biologe Diethelm Schneider gleich zu Beginn unserer Exkursion, ganz profan am Supermarkt-Parkplatz: "Hier haben wir blühende Pflanzen. Das sind Wegrauke, Mohn, Ackerhundskamille." Und dahinter: Ein vergleichsweise riesiges Gerstenfeld. Alles eng stehende Gerste. Ohne jede Blühpflanze. Aus der Sicht eines Bauern oder eines Betriebswirtes sicher eine funktionierende und effiziente Geldproduziermaschine. Aus der Sicht eines Menschen, der die Artenvielfalt propagiert, eine Katastrophe: "Hier, wo wir die blühenden Pflanzen haben, gibt es für die Tiere Nahrung in Form von Nektar und Pollen", so Diethelm Schneider vom Institut zur Förderung der Kenntnis ökologischer Zusammenhänge.
Deshalb gibt es hier, am Rain des Getreidefeldes, auch Tiere. "Da kann man nicht mehr mit der Egge hin", meint Diethelm Schneider. Deshalb sei hier noch ein Rest von Blühpflanzen. Mit vielfältigen Tieren: "Hier habe wir innerhalb von fünf Minuten allein drei Wildbienenarten, eine Furchenbiene, eine Sandbiene, eine Maskenbiene, eine Hummel und eine Feldwespe", zeigt er auf die Tiere, die der achtlose Passant schlichtweg übersehen hätte. "Wir haben in Deutschland rund 45.000 Arten", sagt der Experte. "Drei Viertel davon sind Insekten. Ein Drittel davon Hautflügler." Zum Beispiel Wespen. "Die Schlupfwespen regulieren die natürliche Vielfalt." Aber sie sind zur Eigenversorgung auf Nektar angewiesen, um nicht zu verhungern. "Gibt es also keine Blüten, gibt es keinen Nektar, gibt es keine Hautflügler", so lautet die einfache und doch erschreckende Gleichung.
Zugleich sehen wir am Wegesrand die Wilde Möhre, eine Wildform der Karotte, die ohne Bewässerung auskommt und den Insekten den notwendigen Nektar liefert. Zugleich gibt es in der Nähe von Blühpflanzen Nistmöglichkeiten. Auch das geht einem normalen Besucher völlig aus dem Bewusstsein. An einer Ecke des Parkplatzes, wo Hausfrauen und -männer gerade ihre neuesten Schnäppchen ins Auto laden und laut von dannen knattern, haben Insekten sich Löcher gegraben. Im Boden. Der Biologe nennt so was "Ruderalflächen". Vereinfacht gesagt, sind das Flächen im besiedelten Raum, die keiner intensiven Nutzung unterliegen und durch betreten und gelegentliches Mähen offen bleiben und die die Insekten für Nestbau und Nahrungssuche nutzen. "Für eine einzige Larve trägt eine Knotenwespe 52 bis 86 ausgewachsen Rüsselkäfer ein", beschreibt Diethelm Schneider die Nützlichkeit dieses Hautflüglers. "Damit wird deren Bestand deutlich reduziert." Die Wildbienen dämmern anscheinend auf dem Klatschmohn, den wir am Wegesrand finden. "Sie fliegen dann, wenn die Sonne scheint", lernen wir. Am Brombeeren und Brennesseln vorbei mit Blick auf eine Zaunrübensandbiene sehen wir die Ackerhundskamille. Und das Jakobskreuzkraut, das von vielen verteufelt wird und eine Fachdiskussion zur Schädlichkeit für beispielsweise Pferde ausgelöst hat. Und wir sehen immer wieder "Hochleistungsfelder". Eng stehende Getreidepflanzen, die auf Leistung getrimmt sind. Und deshalb gedüngt werden müssen. Da sorgen keine Insekten für den Erhalt der Kultur, sondern die Mittel der einschlägigen Industrie. Hier geht es erkennbar ausschließlich um einen möglichst hohen Ertrag. Blüten und Insekten sucht man vergebens. Eine tote Landschaft, das fällt einem hier unwillkürlich ein. Am Wegesrand, da wo keine Egge hinkommt, gibt es Gras. Keine Blumen, weil die "auch mit weggespritzt und weggedüngt worden sind."
Gibt es denn keine Möglichkeit, diese Monokultur aufzulockern? "Doch, man kann etwa Linsen zusammen mit Getreide anbauen. Die dann nach der Ernte wieder aussortieren. Und damit wieder Insekten locken." "Aber diese Erkenntnisse der modernen Landwirtschaft haben sich noch nicht in den Köpfen verankert". Zwischendurch sehen wir Hecken und alte Obstbäume. "Einige Insekten nehmen sich als Niststätte zum Beispiel Totholz, das es in solchen Refugien für die Tierwelt gibt", sagt Diethelm Schneider. Und zeigt auf eine Ackerwinde. "Die moderne Landwirtschaft, so wie sie ausgeübt wird, ist eine Bedrohung für die Artenvielfalt." Weil sie auf Maximalertrag ausgelegt ist. Und nicht auf Intelligenz, womit man durchaus auch mit sinnvollen Strukturen einen hohen pekuniären Gewinn einfahren könnte. "Hier gab es mal ein Blühstreifenprogramm", zeigt er auf einen Randstreifen, der etwas bunter ist als ein reiner Grasstreifen. "Gute Idee, leider nicht nachhaltig verfolgt." Und dann kommen wir auf einen Feldbereich, dessen Luft erfüllt ist vom Vogelgesang. Klatschmohn wiegt sich im Wind, Rainfarn und Schwarznessel blühen, die Nachtlichtnelke ist zu sehen. "Das sind Bio-Felder." Hier gibt es auch bodenlebende Tiere, etwa Spinnen. Idylle pur. In der Luft Feldlerchen. Mit ihrem Gesang, der den Menschen fröhlich stimmt. Einige Meter weiter: Wieder Hochleistungsgetreide. Darüber steigt ein Mäusebussard auf. Er rüttelt in der Luft. "Vielleicht sind Mäuse (die Beute des Bussard) das einzige, was auf diesen Monokulturen noch vorkommt", ist der Experte skeptisch. Außer dem Bussard ist hier kein Vogel unterwegs.

Am 20.07.2014 von Diethelm Schneider verfasst.