Die Löwenmäulchen-Tomate - Wie man den Bürger für dumm verkauft

Dass Forscher sich für alle möglichen Fragestellungen interessieren und dafür auch alles mögliche experimentieren, sei ihnen unbenommen.
Der Drang, dafür eine große Öffentlichkeit zu interessieren, damit man öffentliche Aufmerksamkeit erhält, damit man mehr Forschungsgelder erhält, führt mitunter zu seltsamen Auswüchsen.

Hier ein aktuelles Zitat:

27.10.2008 - Gesundheit

Die Löwenmäulchen-Tomate

Forscher statten die Frucht mit Farbstoff-Genen aus, die den Antioxidantienanteil erhöhen

Britische Forscher haben mit Hilfe von Gentechnik violette Tomaten mit besonders vielen Anthocyanen gezüchtet. Diese Farbstoffe wirken als starke Antioxidantien und sind damit gesundheitsfördernd. Krebsanfällige Mäuse, die mit den violetten Tomaten gefüttert wurden, lebten länger als Tiere, denen gewöhnliche rote Tomaten zugefüttert wurden, berichten die Forscher um Eugenio Butelli vom John Innes Centre in Norwich. Sollte sich diese Wirkung bei Studien am Menschen bestätigen, könnte dies eine Möglichkeit sein, die Gesundheit zu schützen, ohne echte Medikamente einnehmen zu müssen, erklären die Wissenschaftler.

 Die Forscher bauten in das Erbgut von gewöhnlichen roten Tomaten zwei Gene ein, die dem Löwenmäulchen seine Farbe verleihen. Durch diese genetische Manipulation entstanden violette Tomaten, die fast dreimal so viele Antioxidantien enthielten wie die Originale. Mit dieser neuen Tomatenart testeten Forscher die gesundheitsförderliche Wirkung von Antioxidantien.

 Dazu untersuchten sie Mäuse, die besonders anfällig für bestimmte Krebsarten sind und daher auch nur eine geringe Lebenserwartung haben. Ein Drittel dieser Mäuse bekam normales Futter und ein zweites Drittel normales Futter, das zu zehn Prozent aus einem Extrakt aus roten Tomaten bestand. Der Rest der Mäuse erhielt eine normale Ration mit zehn Prozent Extrakt aus violetten Tomaten. Während die Mäusegruppe mit dem Zusatz aus roten Tomaten genauso lange lebte wie ihre Artgenossen mit normalem Futter, lebten die Mäuse mit dem violetten Tomatenextrakt 40 Tage länger als die Tiere mit dem Standardfutter.

 Auch wenn das Untersuchungsergebnis vielversprechend wirkt, müsse erst getestet werden, wie die lebensverlängernde Wirkung der violetten Tomaten zustandekommt, erklärt Cathie Martin, die ebenfalls an der Studie beteiligt war. Vermutlich sei die Wirkung nicht komplett auf die Antioxidantien zurückzuführen. Erst wenn der Wirkmechanismus geklärt sei und giftige Nebenwirkungen ausgeschlossen werden können, soll dieses funktionelle Lebensmittel am Menschen getestet werden. Als nächstes werde daher erst die Wirkung der violetten Tomaten auf verschiedene Tumorarten erforscht.

 Anthocyane sind natürliche Farbstoffe, die in besonders großen Mengen in dunklen Beeren, wie Brombeeren, vorkommen. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Farbstoffe gewissen Krebsarten, kardiovaskulären Erkrankungen, Alterserscheinungen, Ãœbergewicht und Diabetes vorbeugen. Außerdem sollen Anthocyane entzündungshemmend wirken und das Sehen verbessern.

 Eugenio Butelli (John Innes Centre in Norwich, Großbritannien) et al.: Nature Biotechnology, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nbt.1506.
 ddp/wissenschaft.de - Sonja Römer
  
Quelle: http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/296792

Dass man mit zwei Transkriptionsfaktoren aus dem Löwenmäulchen in der Tomate einen hohen Gehalt an Anthocyanidinen erhalten kann, mag einen mehr oder weniger interessieren.
Dass man das als Gewinn für die Gesundheit darstellt, ist genau so schwachsinnig, wie den 'Goldreis', eine gentechnisch veränderte Reissorte mit erhöhtem Vitamin A-Gehalt, als Lösung eines Vitamin A-Mangels anzupreisen. Denn ein Kind müsste 8 Kilogramm (!) von diesem Reis pro Tag (!!!) essen, um seinen Vitamin A-Bedarf zu decken!
Genauso wenig ist die Löwenmäulchen-Tomate ein Gewinn für die Gesundheit (Gesundheitsrisiken müssen erst noch untersucht werden) und überdies völlig überflüssig, denn heimische Früchte wie Brombeeren und Heidelbeeren oder auch Gemüse wie Rote Beete enthalten jede Menge Anthocyanidine. Und die Gen-Tomate hat auch nur ähnliche Mengen Anthocyanidine wie diese.
Im übrigen hat wissenschaft.de falsch zitiert: Verfüttert wurden nicht Tomaten, sondern Tomatenextrakte. Nur die Extrakte, das heißt die Anthocyanidine, haben die besprochene Wirkung. Über die gesundheitlichen Risiken der genveränderten Tomate selber gibt es noch keine ausreichenden Untersuchungen.

Man kann das als einen typischen Fall betrachten. Um an Gelder zu kommen, wird der Öffentlichkeit jedes Ergebnis als Fortschritt für die Gesundheit oder Medizin verkauft.
Veröffentlichungen wissenschaftlicher Ergebnisse sind inzwischen also weniger Dokumentation der Forschung, sondern zunehmend Marketing-Instrument. Man will ja schließlich Forschungsgelder bzw. irgendwann dem Leser (Kunden!) sein Produkt verkaufen. Es geht also nicht mehr um Aufklärung, sondern Vereinnahmung. Und es wird auch nicht gefragt, ob das 'Produkt' für den Kunden wirklich Vorteile bringt - es wird einfach behauptet.
In dieses Bild passt dann durchaus, dass die Zusammenfassung bei wissenschaft.de unkorrekt zitiert bzw. unzulässige Vereinfachungen vornimmt.

Am 31.10.2008 von Diethelm Schneider verfasst.