Gefahren von Insektizid-Einträgen in Gewässern werden systematisch unterschätzt

Eine aktuelle Pressemeldung vom PestizidAktionsnetzwerk (PAN) weist darauf hin, dass das bisherige Vorgehen bei der Erfassung von Pestizideinträgen einen systematischen Fehler aufweist, der die Abschätzung des Pestizideintrags immer viel niedriger ausfallen lässt, als die realen Spitzenbelastungen.

Gefahren von Insektizid-Einträgen in Gewässern werden systematisch unterschätzt

26.02.2013,  Pestizid-Brief 2, 2013, Benjamin Blum, Susan Haffmans, PAN Germany

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   Untersuchungen der Universität Koblenz-Landau zeigen, dass die Gefahren  von Insektizid-Einträgen in Gewässern durch ungeeignete Messmethoden  systematisch unterschätzt werden. 

Als direkter Eintrag, über Abdrift und Auswaschung bei Regenfällen  gelangen ausgebrachte Pestizide in Gewässer. Zwar werden die möglichen  Risiken von Pestiziden für Wasserlebewesen im Rahmen der  Pestizidzulassung abgeschätzt. Es häufen sich jedoch Hinweise, dass es  zu Fehleinschätzungen kommt. So haben bereits zurückliegende  umfangreiche Freilanduntersuchungen gezeigt, dass in landwirtschaftlich  intensiv genutzten Gebieten ein Großteil der empfindlichen  Gewässerorganismen aufgrund von Pestizid-Einträgen nicht mehr vorkommt  (1). Andere Untersuchungen machten deutlich, dass bei  Pestizid-Konzentrationen, die laut Zulassungsprüfung als unbedenklich  gelten, das Vorkommen empfindlicher Organismen um 27 bis 61 Prozent  reduziert war. Die beteiligten Wissenschaftler mahnten vor den  langfristigen Folgen (2). Die Forscher konnten eindringlich zeigen, dass  der im Rahmen der Pestizidzulassung erfolgende Bewertungsprozess nicht  ausreicht, um das Ökosystem Fluss nachhaltig vor den negativen  Auswirkungen von Pestiziden zu schützen. 

Dies wurde nun durch vertiefende Studien bestätigt. Die  Wissenschaftler Stehle, Knäbel und Schulz der Universität Koblenz-Landau  stellten dar, dass die verbreitete Methode, zu vorgegebenen Zeitpunkten  Konzentrations-Messungen in den Gewässern vorzunehmen, zu einer  Unterschätzung der Belastungssituation und somit zu einer verzerrten  Risikobewertung der Einträge von Insektiziden für aquatische  Lebensgemeinschaften führt (3). Durch die festgeschriebenen und weit  auseinanderliegenden Messintervalle werden die Zeitpunkte, zu denen  Insektizide in besonders hohen Konzentrationen vorkommen, meist verpasst  und deren wahrhaftes Gefahrenpotenzial unterbewertet. Und selbst bei  engmaschigeren Untersuchungen würde ein statisches Belastungs-Monitoring  ungenügende Informationen bereitstellen. Besser geeignet wären den  wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ereignisorientierte  Messmethoden.

Von der Ausbringung von mit Insektiziden gebeiztem Saatgut abgesehen,  werden Insektizide zur punktuellen Bekämpfung von periodisch  auftretenden Schädlingspopulationen versprüht. Dies bedeutet, dass es zu  kurzfristig hohen Konzentrationen von Insektiziden in Gewässern kommt.  Die Wissenschaftler empfehlen daher eine ereignisbezogene Probenentnahme  während des Ausbringens oder während starker Regenfälle. Nur so wäre  das akute Gefahrenpotenzial angewandter Insektizide festzustellen.  

Die Koblenz-Landauer Wissenschaftler bemängeln besonders das  gravierende Defizit bei der Beurteilung der Belastungssituation kleiner  Fließgewässer. Hier bestehe ein besonderer Handlungsbedarf. Die  Forderung nach einem Pestizid-Monitoring für Kleingewässer in  Agrarlandschaften wurde von PAN Germany unter anderem wiederholt im  Rahmen der Ausgestaltung des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen  Anwendung von Pestiziden (NAP) der Bundesregierung aufgestellt,  gemeinsam mit NABU, BUND und Greenpeace (4).

 Die Einschätzungen über die fehlerhaften Beurteilungen von Pestiziden in  Gewässern sind besonders alarmierend vor dem Hintergrund der  wissenschaftlich prognostizierten Zunahme des Einsatzes von Insektiziden  in der Landwirtschaft aufgrund des Klimawandels (5) (6). Die Ergebnisse  der Wissenschaftler sollten daher zum Anlass genommen werden,  Monitoring-Systeme und Messverfahren für Fließgewässer den gewonnen  Erkenntnissen anzupassen, um die realen Gefahren für aquatische  Lebensgemeinschaften richtig bewerten und den Schutz der Gewässer durch  geeignete Maßnahmen effektiver gestalten zu können.

(Benjamin Blum / Susan Haffmans, PAN Germany)

  

  Anmerkungen

  (1) Liess M., Schäfer R., Schriever C. (2008): The footprint of  pesticide stress in communities - species traits reveal community  effects of toxicants. Science of the Total Environment, 406, 484-490
 (2) Ralf B. Schäfer, Peter Carsten von der Ohe, Jes Rasmussen,  Ben J. Kefford, Mikhail A. Beketov, Ralf Schulz and Matthias Liess  (2012): "Threshold for the Effects of Pesticides on Invertebrate  Communities and Leaf Breakdown in Stream Ecosystems". Environmental  Science & Technology, 46, (9) 5134-5142. Siehe : http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es2039882
 (3) Sebastian Stehle, Anja Knäbel and Ralf Schulz, Probabilistic  Risk Assessment of Insecticide Concentrations in Agricultural Surface  Waters: A Critical Appraisal. Environmental Monitoring and Assessment,  12 December 2012
 (4) Gemeinsame Stellungnahme von PAN Germany, NABU, BUND und  Greenpeace zum Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von  Pestiziden (Entwurf vom 27.09.2012), Hamburg / Berlin 23. Oktober 2012.   http://www.pan-germany.org/download/Umweltverbaende_Stellungnahme_zum%20_NAP_Entwurf_vom_270912.pdf
 (5) Kattwinkel, M. et al. (2012): Climate change, agricultural  insecticide exposure, and risk for freshwater communities. Ecological  Applications, 21 (6), 2011, pp. 2068-2081, Ecological Society of America 
 (6) http://www.pan-germany.org/deu/~news-1167.html

Am 27.02.2013 von Diethelm Schneider verfasst.