Neonikotinoid-Feldversuch an Bienen: Vernebelung statt Aufklärung. Syngenta-Studie in der Kritik

Thiamethoxam ist eines der drei hochbienengefährlichen Neonikotinoid-Wirkstoffe, die seit Ende 2013 einem zweijährigen Teil-Verbot unterliegen (PAN berichtete). Während Umweltverbände und Imker diese Verbotsentscheidung der EU als einen wichtigen Schritt für mehr Bestäuberschutz begrüßen, haben die Hersteller gegen diese Entscheidung Klage eingereicht. Die Wissenschaftler und Autoren des nachfolgenden Artikels, Peter. P. Hoppe und Anton Safer haben eine von Syngenta finanzierte Studie, wonach von Thiamethoxam-Rückständen in Nektar und Pollen nur ein geringes Risiko für Bienen ausgeht, einer kritischen Betrachtung unterzogen. Wie aus dem nachfolgenden Beitrag der Autoren deutlich wird, kommen Hoppe und Safer zu dem Schluss, dass der Versuchsaufbau des Feldversuchs und die Auswertung der Ergebnisse erhebliche Mängel aufweisen. Eine Entwarnung für Bienen könne auf dieser Basis nicht ausgesprochen werden.

Neonikotinoid-Feldversuch an Bienen: Vernebelung statt Aufklärung. Syngenta-Studie in der Kritik

 

21.10.2014,  PAN Germany Pestizid-Brief 9-2014, Peter P. Hoppe und Anton Safer

 

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  Thiamethoxam ist eines der drei hochbienengefährlichen  Neonikotinoid-Wirkstoffe, die seit Ende 2013 einem zweijährigen  Teil-Verbot unterliegen (PAN berichtete). Während Umweltverbände und  Imker diese Verbotsentscheidung der EU als einen wichtigen Schritt für  mehr Bestäuberschutz begrüßen, haben die Hersteller gegen diese  Entscheidung Klage eingereicht. Die Wissenschaftler und Autoren des  nachfolgenden Artikels, Peter. P. Hoppe und Anton Safer haben eine von  Syngenta finanzierte Studie, wonach von Thiamethoxam-Rückständen in  Nektar und Pollen nur ein geringes Risiko für Bienen ausgeht, einer  kritischen Betrachtung unterzogen. Wie aus dem nachfolgenden Beitrag der  Autoren deutlich wird, kommen Hoppe und Safer zu dem Schluss, dass der  Versuchsaufbau des Feldversuchs und die Auswertung der Ergebnisse  erhebliche Mängel aufweisen. Eine Entwarnung für Bienen könne auf dieser  Basis nicht ausgesprochen werden. 

 

Zusammenfassung
 In PLOSONE wurde kürzlich ein Feldversuch zur Auswirkung von  Thiamethoxam-gebeiztem Saatgut bei Raps und Mais auf Volksparameter und  Winterverluste von Bienenvölkern veröffentlicht (Pilling et al. 2013  (1)). Eine genaue Analyse des Versuchsaufbaus und der Auswertung der  Ergebnisse lässt vermuten, dass der von der Herstellerfirma bezahlte  Versuch, der bereits 2005-8 in Frankreich durchgeführt worden war,  offensichtlich zur Verteidigung der Vermarktungsinteressen publiziert  wurde.
 Die Methodik ist in weiten Teilen intransparent. Die Randomisierung  der Versuchsvölker ist unzulänglich, der Abstand zwischen Kontroll- und  Behandlungsfeldern nicht ausreichend, die Expositionsdauer von einer bis  maximal 3 Wochen/Jahr unrealistisch kurz. Andere Expositionswege, z.B.  Ã¼ber Beizstaub, werden außen vor gelassen. Zahlreiche nicht  kontrollierte bzw. nicht kontrollierbare Störfaktoren werden nicht  berücksichtigt. Eingesetzt wird Thiamethoxam-Wirkstoff als Monopräparat  an Stelle des höher wirksamen, formulierten Marktprodukts. Die  Winterverluste werden nicht quantifiziert. Die Ergebnisse werden als  grafische Darstellungen von Mittelwerten ohne Streuungsmaß präsentiert.  Eine statistische Auswertung fehlt. Stattdessen wird die Interpretation  der Ergebnisse den Autoren überlassen. Ihre Schlussfolgerung, dass  systemische Rückstände von Thiamethoxam ein niedriges Risiko für  Bienenvölker bedeuten, beruht auf einem falsch-negativen Ergebnis.  Darunter versteht man, dass eine schädliche Substanz fälschlicher Weise  als unschädlich beurteilt wird.

  

Hintergrund
 Die EU hat 2013 für drei Insektizide aus der Klasse der Neonikotinoide,  Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam, sowie für das Insektizid  Fipronil - ein Phenylpyrazol -ein zweijähriges Anwendungs-Moratorium  erlassen. Es wird von den Herstellern als wissenschaftlich unbegründet  kritisiert und juristisch angefochten. Dies dürfte der Anlass für die  Publikation eines Feldversuchs (1) gewesen sein, der vom Hersteller  (Syngenta) vor Jahren für die Zulassung eingereicht wurde. Die Autoren  der Studie behaupten, dass systemische Rückstände in Nektar und Pollen  nach Anwendung von Thiamethoxam zur Beizung von Mais- und Raps-Saatgut  ein niedriges Risiko für Bienenvölker bedeuten. Eine genaue Analyse der  Studie zeigt jedoch, dass diese Aussage sich mit der angewandten  Methodik nicht valide begründen lässt. Im Folgenden wird die Methodik  kritisch analysiert.

 

Im Rahmen der Studie wurden eine Tunnelstudie und ein Feldversuch  durchgeführt. Die Tunnelstudie wird hier nicht weiter interpretiert,  weil der Feldversuch im Vordergrund stand. Nur soviel: Ziel der  Tunnelstudie war die Rückstandsanalyse von Thiamethoxam und Clothianidin  in Mais-Pollen sowie in Pollen und Nektar von Raps, nach Beizung des  Saatguts mit einem flüssigen Konzentrat von Thiamethoxam und den  Fungiziden Metalaxyl-M und Fludioxinil. Clothianidin ist das primäre  Stoffwechselprodukt der Biene aus Thiamethoxam. Es ist toxischer und  langlebiger als Thiamethoxam. Die Konzentrationen von Clothianidin in  Nektar und Pollen liegen in der gleichen Größenordnung wie von  Thiamethoxam. Clothianidin wird von den Autoren der Studie verschleiernd  als "Metabolit CGA322704" bezeichnet.

 

Kritik des Feldversuchs
 Ziel des Feldversuchs war die Untersuchung der "spezifischen Effekte von  Thiamethoxam" auf die Ãœberwinterungsverluste und Völkerparameter  (s.u.). Dazu wurde im Gegensatz zur Tunnelstudie nicht ein  Handelsprodukt (zum Beispiel Cruiser®), sondern der  Thiamethoxam-Wirkstoff (als Monopräparat) zur Beizung eingesetzt. In  welcher Darreichungsform der Wirkstoff auf das Saatgut aufgebracht, und  wie das gebeizte Saatgut ausgebracht wurde, bleibt im Dunkeln.  Handelsprodukte enthalten neben dem Wirkstoff zusätzliche  Formulierungs-Komponenten. Sie sollen den Wirkstoff vor Abbau schützen,  das Anhaften an das Saatgut gewährleisten, die Aufnahme in die Pflanze  fördern (z.B. Tenside, Emulgatoren) und die Wirksamkeit erhöhen (z.B.  Piperonyl-Butoxid). Handelsprodukte enthalten häufig auch Fungizide,  wodurch Wirksamkeit und Toxizität des Wirkstoffs enorm gesteigert werden  können. So steigt die akute Toxizität (LD 50) des Neonikotinoids  Acetamiprid für Bienen bei gleichzeitiger Verabreichung eines  DMI-Fungizids (Demethylase-Inhibitor) auf mehr als das Tausendfache (2).  Man kann davon ausgehen, dass der nicht-formulierte Wirkstoff weniger  gut von der Pflanze aufgenommen wird, zu niedrigeren Konzentrationen in  Pollen und Nektar führt und deshalb eine schwächere Wirkung als Fraßgift  (=Toxizität) hat als Markt-Formulierungen. Aus diesem Grund sieht die  Richtlinie der EPPO (European and Mediterranian Plant Protection  Organization) die Prüfung der vermarkteten Formulierung vor (3). Dass  hiervon abgewichen wurde, legt die Vermutung nahe, dass das Risiko für  die Bienen bewusst niedrig gehalten werden sollte.

 

Beschrieben werden 3 Versuche mit Mais (an 3 Standorten) und 2  Versuche mit Raps (an 2 Standorten), die über 4 aufeinander folgende  Jahre (2005 - 2008) in Frankreich durchgeführt worden waren. Die Beizung  mit Thiamethoxam (als Monopräparat) entsprach der für Mais und Raps in  Europa jeweils maximal zugelassenen Aufwandmenge. Warum an mehreren  Standorten geprüft wurde - ein im Pflanzenbau gebräuchlicher  Versuchsansatz - wird nicht begründet. Angaben zur Lokalisation der  Standorte, zum Bodentyp und zum Klima fehlen. Das Beispiel einer jüngst  veröffentlichten Feldstudie zur Einwirkung von Neonikotinoiden auf  Bienen (19) an 3 Standorten zeigt, dass eine genaue Anbaukartierung mit  Hilfe von Geotagging durchführbar ist. An jedem Standort wurden 6 behandelte Völker (sie standen an Feldern aus  Thiamethoxam-gebeiztem Saatgut) und 6 Kontrollvölker (an Feldern aus  nicht mit Thiamethoxam gebeizter Saat) eingesetzt, insgesamt 60 Völker.  Demnach handelt es sich um einen drei-faktoriellen kontrollierten  Versuch mit den Faktoren Behandlung, Standort und Versuchsjahr. Die  Studie wird zwar nicht als kontrollierter Versuch bezeichnet, sondern  als "Feldprogramm", "multiple Expositionsstudie" oder  "Langzeit-Ãœberwinterungsversuch", aber das Versuchsziel, die  (angebliche) Vermeidung von Störfaktoren, die Legenden der Abbildungen  ("behandelter Raps" bzw. "unbehandelter Raps") und die Diktion lassen  darauf schließen, dass der Eindruck eines kontrollierten Versuchs  (Definition s.u.) erweckt werden soll.

 

Eingesetzt wurden Weisel-richtige Völker (Königin in Eiablage mit  allen Brutstadien), die "soweit wie praktisch möglich normalisiert"  wurden. Um das Schwärmen zu verhindern, wurden in den ersten zwei  Versuchsjahren vor der Expositionsphase Brutableger gebildet, bestehend  aus der Königin, einem Teil Arbeiterinnen, 1-2 Brutrahmen und 1-2  Vorratsrahmen. Der größte Teil der Bienen mit Brut und Vorräten verblieb  im Originalvolk, das eine neue Königin bilden sollte und in der darauf  folgenden Expositionsphase eingesetzt wurde. Im Rahmen eines Versuchs  ist dies eine ungewöhnliche Maßnahme, da sie einen starken Sozialstress  für das Volk bedeutet und eine mehrwöchige Brutlücke nach sich zieht. In  den weiteren Versuchsjahren wurde die Volksstärke durch Entnahme von  einigen Brut- und Vorratsrahmen reduziert.

 

Kontrolle und Behandlung waren im Abstand von "ungefähr 2 km"  aufgestellt. Die Angabe ist vage, warum wurde der Abstand nicht exakt  mit GPS bestimmt? Der Abstand war deutlich zu klein, um das Befliegen  von behandelten Flächen durch Kontrollbienen und von unbehandelten  Flächen durch die behandelten Völker zu verhindern. Bienenvölker nutzen  unter Normalbedingungen in 95% der Zeit einen Radius von 2 bis zu 6 km  (113 Quadratkilometer), unter extremen Stressbedingungen von 10 km (314  Quadratkilometer) (4).

 

Jeder Standort war von anderen Bienen-attraktiven Kulturen und  anderen Mais- und Rapsfeldern "isoliert". Nachweise für diese  "Isolation", zum Beispiel über eine Anbau-Kartierung oder Luftaufnahmen,  fehlen.

 

Die Dauer der Expositionsphase bei Mais (während der Blüte) betrug  2005-2008 fünf bis 8 Tage/Jahr, in 2009 (nach Aussaat von zwei  Mais-Varietäten) 19 bzw. 23 Tage, bei Raps 12 bis 22 Tage/Jahr.  Anschließend wurden die Völker im Wald abseits von intensiven  landwirtschaftlichen Kulturen unter Beobachtung überwintert. Die  Begrenzung der Exposition auf eine Woche bis maximal 3 Wochen/Jahr ist  unrealistisch kurz und lässt andere Expositionswege, z.B. über  Beizstaub, andere Pestizid-behandelte Kulturen und kontaminierte Böden,  außen vor.

 

Die Betreuung der Völker erfolgte "mit üblichen imkerlichen  Maßnahmen". Dies ist eine Black Box. Es fehlen entscheidende Angaben:  Wie wurden die Völker eingewintert? Wurden - wie in der Imkerei nicht  unüblich - schwache Versuchsvölker im Herbst mit Ablegervölkern  verstärkt, um Winterverlusten vorzubeugen? Was geschah mit den  Ableger-Völkern? Gab es bei ihnen Winterverluste? Wie wurden gestorbene  Völker ersetzt?

 

Die Untersuchungsparameter waren: die Anwesenheit  einer gesunden Königin in Eiablage, die Volksstärke (bestimmt nach der  Liebefeld-Methode), die geschätzte relative Rahmenfläche mit Eiern,  Larven, verdeckelter Brut, Pollen und Nektar, das Brutto-Gewicht des  Bienenstocks, die Sammelaktivität* sowie die Anzahl der mit Totenfallen*  und ausgelegten Leinentüchern* ermittelten Toten. Die mit *  gekennzeichneten Parameter gelten als wenig aussagekräftig, da sie nur  relative Veränderungen anzeigen. Ferner sollten die Flugaktivität am  Flugloch und das Verhalten beobachtet werden, Ergebnisse werden aber  nicht genannt.

 

Winterverluste. Im März oder April jeden Jahres  wurde eine Beurteilung der Brut zur Feststellung des  Ãœberwinterungserfolgs durchgeführt. Nach welchen Kriterien sich  Beurteilung und Zeitpunkt richteten, wird nicht erläutert. Ergebnisse  werden nicht angegeben, es wird lapidar behauptet, Kontroll- und  Behandlungsvölker hätten "erfolgreich überwintert". Da hohe  Winterverluste als Indiz für Neonikotinoid-Belastung gelten und die  Quantifizierung der Winterverluste mehrfach als Versuchsziel angegeben  wird, ist diese pauschale Angabe inakzeptabel. Auf Nachfrage wurden  Daten mitgeteilt (P. Campbell, persönliche Mitteilung). Daraus ergeben  sich im Mittel aller Jahre ungewöhnlich niedrige Winterverluste für Raps  (3,3 %) und Mais (6,6 %), ohne erkennbare Unterschiede zwischen  Behandlung und Kontrolle. Dabei wurden die erheblichen Völker-Verluste  durch Probleme mit der Königin ("male brood only"), die insgesamt 24  Völker in den Monaten März und April betrafen, nicht eingerechnet. Bei  COLOSS werden derartige Verluste sinnvollerweise den Winterverlusten  zugerechnet, weil das Problem ohne Reserve-Königinnen nicht zu beheben  ist. Aus diesen Gründen erscheinen die niedrigen Zahlen unglaubwürdig.  International werden Winterverluste im Bereich von circa 10% bis 50%  (Schweiz, Winter 2012/2013) und darüber gemeldet.

 

Die Ergebnisse werden ohne statistische Auswertung  (Varianzanalyse) in Form von Mittelwerten grafisch dargestellt, ohne  jegliche Angabe von Streumaßen, während im Tunnelversuch  zumindest Boxplots gezeigt werden. Stattdessen werden Rohergebnisse in  einem Wust von 6 Abbildungen im Text und 24 Abbildungen im Anhang  gezeigt. Bei visueller Betrachtung der Mittelwertverläufe lassen sich  keine relevanten Unterschiede zwischen Kontrolle und Behandlung  erkennen. Die Prüfung von Unterschieden darf sich aus guten Gründen  nicht auf den visuellen Eindruck von Mittelwertsgrafiken stützen, da  sonst subjektive Einschätzungen mit allen subjektiven  Täuschungsmöglichkeiten an die Stelle von nachvollziehbaren Fakten durch  Berechnungen treten.

 

Das Unterlassen einer statistischen Analyse ist bei  Vorliegen derart umfangreicher Daten inakzeptabel. Statistische  Auswertungen dienen dazu, Schlussfolgerungen aus Daten objektivierbar  und nachvollziehbar zu machen. Deshalb ist das Fehlen der statistischen  Auswertung ein eklatanter Verstoß gegen die Grundlagen  wissenschaftlichen Arbeitens. Stattdessen überlassen es die Gutachter  der Zeitschrift PLOSONE den Autoren selbst (Mitarbeiter von Syngenta und  von Auftragsforschungsinstituten), die Relevanz der Ergebnisse zu  beurteilen. Ein solches Vorgehen wird bedauerlicherweise von der  EPPO-Richtlinie (3) befürwortet, die bei Feldversuchen dem "Urteil von  Experten" das letzte Wort einräumt. Nach dem Urteil dieser Experten  zeigen die Ergebnisse "ein niedriges Risiko für Honigbienen von  systemischen Rückständen in Nektar und Pollen aus  Thiamethoxam-behandeltem Raps und Mais".

 

Die EPPO-Richtlinie (3) ist widersprüchlich, was die  Forderung nach statistischer Auswertung, den Umgang mit Replikaten und  die Ablehnung des Bienenstocks als Replikat angeht. Bei Labor- und  Semi-Feldversuchen wird eine statistische Auswertung für erforderlich  gehalten, nicht so bei Feldversuchen. Ein plausibler, nachvollziehbarer  Grund dafür fehlt. Mindestens 4 Bienenstöcke pro Behandlung werden bei  Feldversuchen gefordert. Andererseits wird behauptet, nicht der  Bienenstock sei die Replikateinheit, sondern das Versuchsfeld. Wofür  sind dann 4 Völker pro Versuchsglied gefordert, wenn man die Ergebnisse  nur mittelt? Und wieso haben die Autoren sogar 6 Völker pro Behandlung  eingesetzt? Könnte es sein, dass die statistische Analyse mit 6 Völkern  als Replikate für das Produkt unerwünschte Ergebnisse erbracht hat und  deshalb vermieden wurde? Aus statistischer Sicht gibt es keinen  triftigen Grund dafür, die Völker nicht als Replikate zu werten. Könnte  es außerdem sein, dass sich Industrie-abhängige Teilnehmer bei der  Abfassung der EPPO-Richtlinie im Sinne ihrer Auftraggeber so eingebracht  haben, dass ihnen genügend Spielraum bei der Interpretation der Daten  bleibt?

 

Kontrollierte Versuche an Bienenvölkern sind außerordentlich schwierig.
  Kontrollierte Versuche sollen prüfen, ob ein Wirkstoff ("Behandlung")  Wirkung(en) zeigt. Dazu werden Parameter wie Wachstum, Laborwerte,  Mortalität u.a. bei behandelten und unbehandelten Tieren (Kontrollen)  verglichen. Die Problematik zeigt sich beim Vergleich mit kontrollierten  Versuchen an Labortieren.

 

Labortiere sind auf genetische und gesundheitliche Homogenität gezüchtet.  Sie werden zu Versuchsbeginn einzeln nach dem Zufallsprinzip  (Randomisation) derart auf die Kontrolle und die Behandlung verteilt,  dass Behandlung und Kontrolle im Mittel gleich zusammengesetzt sind.  Alle Tiere (Behandlung wie Kontrolle) werden unter gleichen Bedingungen  gehalten, die im Versuchsplan festgelegt und fortwährend überwacht  werden. Auf diese Weise wird ausgeschlossen, dass unerwünschte  Störfaktoren die Parameter beeinflussen, so dass Unterschiede in den  Parametern eindeutig auf die Behandlung zurückzuführen sind. Dadurch  lassen sich auch schwache Effekte eines Wirkstoffs erkennen, sofern die  Zahl der Wiederholungen ausreicht. Ob sich die Parameter von Behandlung  und Kontrolle unterscheiden, und ob der Unterschied zufallsbedingt ist  oder als signifikant angesehen werden kann, entscheiden statistische  Testverfahren.

 

Bienenvölker sind unvergleichlich variabler als Labortiere.  Bienenvölker unterscheiden sich hinsichtlich der Volksstärke, Rasse,  Vorbelastung mit Pestiziden (durch imkerliche Maßnahmen und über Pollen  und Nektar), und des Gesundheitsstatus (Befall mit Parasiten und  Pathogenen). Bienen sammeln bei der Bestäubung zwangsläufig Pestizide,  die Belastung ist so umfangreich, dass es heutzutage keine unbelasteten  Kontrollvölker mehr gibt. 2012 wurde ein Feldversuch an Hummeln in  England (DEFRA; Landwirtschaftsministerium von Großbritannien)  frühzeitig abgebrochen, weil die Kontrollvölker belastet waren. Im  vorliegenden Fall wurde die Vorbelastung der Versuchsvölker  (Pestizid-Profil im Honig und Bienenbrot) nicht einmal untersucht.

 

Die notwendigen Voraussetzungen für einen validen kontrollierten Feldversuch an Bienenvölkern  sind 1.) die randomisierte Zuordnung (strikte Zufallszuordnung) der  Völker zu Kontrolle und Behandlung vor Versuchsbeginn und 2.) die  weitgehende Vermeidung von Störfaktoren während des Versuchs. Die  Randomisierung soll die wesentlichen Variablen wie Herkunft, Rasse,  Volksstärke, Legeleistung und Alter der Königin, Gesundheitsstatus und  Pestizid-Profil des Bienenbrots auf die beiden Gruppen Kontrolle und  Behandlung gleich verteilen. Diese Voraussetzungen waren nicht einmal  ansatzweise erfüllt, weil nicht umfassend randomisiert wurde und eine  Vielzahl von Störfaktoren nicht kontrolliert wurde oder nicht  kontrollierbar war.

 

Die wichtigsten Störfaktoren sind im Einzelnen:
 

  

In der Summe erhöhen diese Faktoren den Versuchsfehler. Dies hat zur  Folge, dass ein signifikanter Effekt von Thiamethoxam nicht entdeckt  werden konnte und ein falsch-negatives Ergebnis  erhalten wurde. Darunter versteht man, dass eine schädliche Substanz  fälschlicherweise als unschädlich beurteilt wird. Denn die Ergebnisse  beruhen keinesfalls wie behauptet auf den "spezifischen Effekten von  Thiamethoxam", sondern auf der Summe aller Einflussfaktoren  einschließlich Thiamethoxam und Clothianidin.

 

Insgesamt gesehen wurde der Feldversuch als "best-case  scenario" inszeniert. Dafür sprechen der Einsatz des reinen Wirkstoffs,  die Intransparenz der Methoden, die unzureichende Randomisierung,  zahlreiche nicht kontrollierte und nicht kontrollierbare Störfaktoren  und die fehlende statistische Auswertung.

 Die Problematik der Feldversuche
 

Die schädliche Wirkung subletaler Konzentrationen von Thiamethoxam  und Clothianidin auf Honigbienen und Hummeln ist durch valide  kontrollierte Versuche vielfach und eindeutig belegt (6,7,8,9,10). Diese  Versuche werden von den Autoren als "Laborversuche" abgewertet, mit den  Attributen "künstliche Expositionsbedingungen" und "unrealistisch",  Feldversuche werden dagegen als praxis-relevant und ausschlaggebend  herausgestellt.

  

Drei Feldversuche werden angeführt, um die angebliche Unschädlichkeit von Neonikotinoiden unter Feldbedingungen zu belegen:
 

 

Folglich beruht die angebliche Unschädlichkeit der Neonikotinoide  unter Feldbedingungen auf der fehlerhaften Interpretation der Ergebnisse  durch die jeweiligen Autoren bzw. auf der kritiklosen Ãœbernahme ihrer  Ergebnisse durch Pilling et al.

 

Die Diskrepanz der Ergebnisse von kontrollierten Laborversuchen und Feldversuchen  beruht nicht auf der Praxisferne der Laborversuche und der Praxisnähe  der Feldversuche, sondern auf der Teststärke (hohe statistische Power)  von randomisierten kontrollierten Versuchen und der Testschwäche  (niedrige statistische Power) von Feldversuchen. Deshalb lassen sich die  Effekte von subletalen Konzentrationen - darum geht es im  Thiamethoxam-Feldversuch - allenfalls in umfassenden und bis ins Detail  geplanten kontrollierten Versuchen ermitteln.  Feldversuche, die diesen Ansprüchen genügen, gibt es bislang nicht. Bei  Ã¼blichen Feldversuchen bleiben die Effekte im Nebel der Störfaktoren  unentdeckt. Man muss davon ausgehen, dass ein erfahrener Versuchsleiter  wie der Hauptautor, diesen "Nebel" im Interesse des Auftragsgebers zu  nutzen weiß. Dr. P. Campbell war u.a. Leiter des Direktorats für  Pestizid-Sicherheit im Landwirtschaftsministerium (DEFRA) von  Großbritannien, er leitet heute die Bestäuber-Forschung bei Syngenta.

 

Die Schwächen von Feldversuchen wurden wiederholt  kritisiert (14, 18), notwendige Verbesserungen werden seit Jahren  angemahnt. Die EFSA forderte im Guidance Document für Feldversuche eine  höhere Zahl an Wiederholungen, um eine ausreichende Empfindlichkeit  (statistische Power) zu erhalten und die benötigten Effekte  nachzuweisen. (18, Seite 79).

 

Zuletzt war die Testschwäche von Feldversuchen ein Thema auf dem  Symposium über Neonikotinoide in London am 24.1.2014. Dabei wies Prof.  D. Goulson (Universität Essex, UK) darauf hin, dass alle großen  Entdeckungen der Naturwissenschaft auf kontrollierten Versuchen beruhen,  deshalb sei die Ablehnung von Laborversuchen völlig unberechtigt.

 

Ein innovativer Ansatz für einen valide kontrollierten Feldversuch  wurde kürzlich von Henry et al. (9) vorgestellt. Dieser Versuch  zeichnet sich durch ein in allen Einzelheiten durchdachtes Design,  umfassend kontrollierte Bedingungen und adäquate statistische Auswertung  aus. Es wurde die Rückkehr-Wahrscheinlichkeit von individuell  markierten Bienen eines Volks bestimmt, nach Behandlung mit einer  einmaligen, Feld-realistischen, subletalen Dosis von 1,34 ng  Thiamethoxam bzw. ohne Behandlung. Die Flug-Distanz betrug 1 km, auf  einer den Bienen nachweislich bekannten Route bzw. auf mehreren ihnen  nicht bekannten Routen. Die Behandlung führte zum Verlust von 10% bzw.  31,6% der Bienen (bekannte bzw. unbekannte Route). Die Ergebnisse wurden  mit noch empfindlicheren Methoden (Verfolgung der Flüge mit  harmonischem Radar) bestätigt (15).

 

Verantwortung, Qualifikation und Unabhängigkeit der Gutachter.  Nach eigener Aussage veröffentlicht das Open Access-Journal PLOSONE  Forschungsarbeiten von "hoher Qualität nach fairem, rigorosem Peer  Review". Die offengelegten Mängel wären ausreichend gewesen, das  Manuskript abzulehnen. Hier stellt sich die Frage, warum die Gutachter  und der erfahrene Bienenforscher Dennis van Engelsdorp als Editor nicht  frei genug waren, die Veröffentlichung der Arbeit abzulehnen. Die  Interpretation der Ergebnisse der Meinung von Interessenvertretern zu  Ã¼berlassen, ist in Wirtschaft und Politik üblich, widerspricht aber dem  Sinn der Wissenschaft.

 

Die Arbeit ist ferner ein Beispiel für die fragwürdige Qualität von Zulassungsversuchen.  Sie werden im Auftrag der Behörde von Experten beurteilt, die häufig  die Untersuchungen selbst durchgeführt haben, eine kritische Prüfung  durch unabhängige Gutachter gibt es nicht. Die Daten werden überdies  nicht veröffentlicht und sind einer Nachprüfung durch unabhängige  Wissenschaftler unzugänglich. Nach Aussage von Syngenta wurde der  Versuch sogar "in Absprache mit den französischen Behörden" konzipiert.  Laut EFSA-Protokoll hätten mehrere Bienen-Experten die "exzellente  Qualität" hervorgehoben, "die für die regulatorische Risikoeinschätzung  detaillierteste und umfassendste Studie seit langem". Die Studie habe  sich "sehr bemüht, die möglichen Langzeiteffekte von Thiamethoxam  wissenschaftlich zu verstehen" (17). Professor C. Frömmel, Biochemiker  in Göttingen, spricht von "Schummeln, ohne zu lügen - die neue Plage der  Wissenschaft" und einer "Krankheit, die den Kern der Wissenschaft  bedroht: ihre Glaubwürdigkeit" (16).

 

Wissenschaftliche Forschung bedeutet Hypothesen  bewerten und neues Wissen generieren. Wie oben belegt, konnte die  Hypothese, Thiamethoxam-Beizung bedeute ein niedriges Risiko für  Bienenvölker, aufgrund gravierender Mängel in der Methodik nicht valide  bewertet werden. Neues Wissen aus diesem Versuch sucht man vergeblich.  Es bleibt der Eindruck eines interessengeleiteten Versuchs ohne  wissenschaftlichen Erkenntniswert.


 

Referenzen

  (1) Pilling E, Campbell P, Coulson M, Ruddle N, Tornier I (2013):  A four-year field program investigating long-term effects of repeated  exposure of honey bee colonies to flowering crops treated with  Thiamethoxame. PLoSONE, Vol 8, e77193
  (2) Iwasa T, Motoyama N, Ambrose JT, Roe MR (2004): Mechanism for  the differential toxicity of Neonicotinoid insecticides in the honey  bee, Apis mellifera. Crop Protection 23: 371-378
  (3) EPPO Bulletin (2010): Efficacy evaluation of plant protection  products. PP 1/170 (4): Side-effects on honeybees. First published: 15  November 2010. DOI: 10.1111/j.1365-2338.2010.02418.x.
  PP 3/10 (3): Chapter 10: honeybees. Article first published online: 15 NOV 2010. DOI: 10.1111/j.1365-2338.2010.02419.x
 (4) Frazier J, Mullin C, Frazier M, Ashcraft S (2011): Pesticides  and their involvement in colony collapse disorder. Jointly published in  the American Bee Journal and in Bee Culture. Zuletzt besucht  14.08.2014: http://www.beeccdcap.uga.edu/documents/CAPArticle16.html
  (5) Krupke CH, Hunt GJ, Eitzer BD, Andino G, Given K (2012):  Multiple routes of pesticide exposure for honey bees living near  agricultural fields. PLoSONE 7:e29268. Doi:101371/journal.pone.0029268  
  (6) Whitehorn PR, O'Connor S, Wackers FL, Goulson D (2012):  Neonicotinoid pesticide reduces bumblebee colony growth and queen  production, Science 336:351-352
  (7) Schneider CW, Tautz J, Grünewald B, Fuchs S (2012): RFID  tracking of sublethal effects of two neonicotinoid insecticides on the  foraging behaviour of Apis mellifera. PLoSONE 7(1): e30023.  doi:10.1371/journal.pone.0030023
  (8) Oliveira RA, Roat TC, Carvalho SM, Malaspina O (2013):  Side-effects of thiamethoxam on the brain and midgut of the africanized  honeybee Apis mellifera (Hymenopptera: Apidae). Article first published  online: 22 JAN 2013. DOI: 10.1002/tox.21842
  (9) Henry M, Béguin M, Requier F, Rollin O, Odoux JF, Aupinel P,  Aptel J, Tchamitchian S, Decourtye A (2012): A common pesticide  decreases foraging success and survival in honey bees. Science  336:348-350
  (10) Fourrier J, Ruger C, DeVillers J, Aupinel P, Gauthier M,  Decourtye A (2012): Sublethal effects of thiamethoxam on the ability of  honeybees to orientate in a complex maze. Poster, zuletzt gesehen  14.8.2014.
  http://www.rfb.it/moria-api/agrofarmaci_dannosi/neonicotinoidi/documenti/Sublethal_effects_of_thiamethoxam_on_bees.pdf
  (11) Cutler GC, Scott-Duprez CD (2007): Exposure to Clothianidin  Seed-Treated Canola Has No Long-Term Impact on Honey Bees. J. Econ.  Entomol 100:765-772
  (12) Nguyen K, Saegerman C, Pirard C, Mignon J, Widart J,  Thirionet B, Verheggen FJ, Berkvens D, De Pauw E, Haubruge E (2009):  Does imidacloprid seed-treated maize have an impact on honey-bee  mortality? J. Econ. Entomol. 102:616-623
 (13) Schmuck R, Schöning R, Stork A, Schramel O (2001): Risk  posed to honeybees by imidacloprid seed dressing of sunflowers. Pest  Manag.Sci. 57:225-238
  (14) Maxim L, van der Slujis J (2007): Uncertainty: Cause or  effect of stakeholders`debates? Science of the Total Environment 376  :1-17
  (15) Fischer J, Muller T, Spatz AK, Greggers U, Grunewald B,  Menzel R (2014): Neonicotinoids interfere with specific components of  navigation in honeybees PLOSONE, 9, e91364
  (16) Frömmel C (2014): Bitte nur die ganze Wahrheit! Schummeln,  ohne zu lügen - das ist die neue Plage der Wissenschaft. DIE ZEIT Nr.  31, S. 31, 24.7.2014
  (17) Campbell P (2013): Declining European bee health: Banning  the neonicotinoids is not the answer. Outlook on Pest Management,DOI:  10.1564/v24_apr_02
  (18) EFSA - European Food Safety Authority (2013): EFSA Guidance  Document on the risk assessment of plant protection products on bees  (Apis mellifera, Bombus spp. and solitary bees). EFSA Journal  2013;11(7):3295:1-268
  (19) Rubinigg M (2013): Entwicklung und wirtschaftlicher Ertrag  von Bienenvölkern in Gebieten, die einer hohen Belastung mit  Neonicotinoid-haltigen Pestiziden ausgesetzt sind. Endbericht Prokekt  NEONIC; erstellt am 23.10.2013. www.imkerzentrum.at; zuletzt besucht:  28.07.2014

 

Danksagung

 

Wir danken drei unabhängigen Bienenwissenschaftlern für ihr Peer-Review.

  

Die Autoren

 

Peter P. Hoppe, Dr. med. vet., Langjährige Erfahrung in akademischer  und industrieller Forschung: Vergleichende Physiologie von  landwirtschaftlichen Nutztieren und Wildtieren, Tierernährung,  Humanernährung. Ehemaliger Leiter der Tierernährungsstation von BASF,  Ludwigshafen. Zahlreiche Veröffentlichungen, langjährige Erfahrung als  Reviewer. Mitglied von BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz) und NABU.  pphoppe@gmx.de

 

Anton Safer, Dr. rer. biol. hum., Diplom-Agraringenieur Universität  Hohenheim, Promotionsstudium Humanbiologie Medizinische Hochschule  Hannover; 36 Jahre als Biometriker in der Arzneimittelindustrie tätig:  klinische und präklinische Studien (Toxikologie, Pharmakologie); bis  Ende 2013 Projektstatistiker am Institute of Public Health/Epidemiology  der Universität Heidelberg. Mitglied von BUND (Bund für Umwelt- und  Naturschutz). antonsafer@aol.com

 

Interessenkonflikte

 

Beide Autoren haben keine Interessenkonflikte. Die Arbeit steht in  keinem Zusammenhang mit den dienstlichen Aufgaben von Anton Safer an der  Universität Heidelberg.

 

Finanzielle Unterstützung

 

Die Arbeit entstand aus eigener Initiative und ohne Unterstützung finanzieller oder anderer Art.

 

Verbreitung der Arbeit

 

Die Verbreitung in unveränderter und vollständiger Form unter Nennung  der Erstveröffentlichung durch PAN Germany (Pestizid Aktions-Netzwerk  e.V.) ist erwünscht.

 

Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels liegt bei den Autoren.

Am 27.10.2014 von Diethelm Schneider verfasst.