21.10.2014, PAN Germany Pestizid-Brief 9-2014, Peter P. Hoppe und Anton Safer
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Thiamethoxam ist eines der drei hochbienengefährlichen Neonikotinoid-Wirkstoffe, die seit Ende 2013 einem zweijährigen Teil-Verbot unterliegen (PAN berichtete). Während Umweltverbände und Imker diese Verbotsentscheidung der EU als einen wichtigen Schritt für mehr Bestäuberschutz begrüßen, haben die Hersteller gegen diese Entscheidung Klage eingereicht. Die Wissenschaftler und Autoren des nachfolgenden Artikels, Peter. P. Hoppe und Anton Safer haben eine von Syngenta finanzierte Studie, wonach von Thiamethoxam-Rückständen in Nektar und Pollen nur ein geringes Risiko für Bienen ausgeht, einer kritischen Betrachtung unterzogen. Wie aus dem nachfolgenden Beitrag der Autoren deutlich wird, kommen Hoppe und Safer zu dem Schluss, dass der Versuchsaufbau des Feldversuchs und die Auswertung der Ergebnisse erhebliche Mängel aufweisen. Eine Entwarnung für Bienen könne auf dieser Basis nicht ausgesprochen werden.
Zusammenfassung
In PLOSONE wurde kürzlich ein Feldversuch zur Auswirkung von Thiamethoxam-gebeiztem Saatgut bei Raps und Mais auf Volksparameter und Winterverluste von Bienenvölkern veröffentlicht (Pilling et al. 2013 (1)). Eine genaue Analyse des Versuchsaufbaus und der Auswertung der Ergebnisse lässt vermuten, dass der von der Herstellerfirma bezahlte Versuch, der bereits 2005-8 in Frankreich durchgeführt worden war, offensichtlich zur Verteidigung der Vermarktungsinteressen publiziert wurde.
Die Methodik ist in weiten Teilen intransparent. Die Randomisierung der Versuchsvölker ist unzulänglich, der Abstand zwischen Kontroll- und Behandlungsfeldern nicht ausreichend, die Expositionsdauer von einer bis maximal 3 Wochen/Jahr unrealistisch kurz. Andere Expositionswege, z.B. über Beizstaub, werden außen vor gelassen. Zahlreiche nicht kontrollierte bzw. nicht kontrollierbare Störfaktoren werden nicht berücksichtigt. Eingesetzt wird Thiamethoxam-Wirkstoff als Monopräparat an Stelle des höher wirksamen, formulierten Marktprodukts. Die Winterverluste werden nicht quantifiziert. Die Ergebnisse werden als grafische Darstellungen von Mittelwerten ohne Streuungsmaß präsentiert. Eine statistische Auswertung fehlt. Stattdessen wird die Interpretation der Ergebnisse den Autoren überlassen. Ihre Schlussfolgerung, dass systemische Rückstände von Thiamethoxam ein niedriges Risiko für Bienenvölker bedeuten, beruht auf einem falsch-negativen Ergebnis. Darunter versteht man, dass eine schädliche Substanz fälschlicher Weise als unschädlich beurteilt wird.
Hintergrund
Die EU hat 2013 für drei Insektizide aus der Klasse der Neonikotinoide, Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam, sowie für das Insektizid Fipronil - ein Phenylpyrazol -ein zweijähriges Anwendungs-Moratorium erlassen. Es wird von den Herstellern als wissenschaftlich unbegründet kritisiert und juristisch angefochten. Dies dürfte der Anlass für die Publikation eines Feldversuchs (1) gewesen sein, der vom Hersteller (Syngenta) vor Jahren für die Zulassung eingereicht wurde. Die Autoren der Studie behaupten, dass systemische Rückstände in Nektar und Pollen nach Anwendung von Thiamethoxam zur Beizung von Mais- und Raps-Saatgut ein niedriges Risiko für Bienenvölker bedeuten. Eine genaue Analyse der Studie zeigt jedoch, dass diese Aussage sich mit der angewandten Methodik nicht valide begründen lässt. Im Folgenden wird die Methodik kritisch analysiert.
Im Rahmen der Studie wurden eine Tunnelstudie und ein Feldversuch durchgeführt. Die Tunnelstudie wird hier nicht weiter interpretiert, weil der Feldversuch im Vordergrund stand. Nur soviel: Ziel der Tunnelstudie war die Rückstandsanalyse von Thiamethoxam und Clothianidin in Mais-Pollen sowie in Pollen und Nektar von Raps, nach Beizung des Saatguts mit einem flüssigen Konzentrat von Thiamethoxam und den Fungiziden Metalaxyl-M und Fludioxinil. Clothianidin ist das primäre Stoffwechselprodukt der Biene aus Thiamethoxam. Es ist toxischer und langlebiger als Thiamethoxam. Die Konzentrationen von Clothianidin in Nektar und Pollen liegen in der gleichen Größenordnung wie von Thiamethoxam. Clothianidin wird von den Autoren der Studie verschleiernd als "Metabolit CGA322704" bezeichnet.
Kritik des Feldversuchs
Ziel des Feldversuchs war die Untersuchung der "spezifischen Effekte von Thiamethoxam" auf die Überwinterungsverluste und Völkerparameter (s.u.). Dazu wurde im Gegensatz zur Tunnelstudie nicht ein Handelsprodukt (zum Beispiel Cruiser®), sondern der Thiamethoxam-Wirkstoff (als Monopräparat) zur Beizung eingesetzt. In welcher Darreichungsform der Wirkstoff auf das Saatgut aufgebracht, und wie das gebeizte Saatgut ausgebracht wurde, bleibt im Dunkeln. Handelsprodukte enthalten neben dem Wirkstoff zusätzliche Formulierungs-Komponenten. Sie sollen den Wirkstoff vor Abbau schützen, das Anhaften an das Saatgut gewährleisten, die Aufnahme in die Pflanze fördern (z.B. Tenside, Emulgatoren) und die Wirksamkeit erhöhen (z.B. Piperonyl-Butoxid). Handelsprodukte enthalten häufig auch Fungizide, wodurch Wirksamkeit und Toxizität des Wirkstoffs enorm gesteigert werden können. So steigt die akute Toxizität (LD 50) des Neonikotinoids Acetamiprid für Bienen bei gleichzeitiger Verabreichung eines DMI-Fungizids (Demethylase-Inhibitor) auf mehr als das Tausendfache (2). Man kann davon ausgehen, dass der nicht-formulierte Wirkstoff weniger gut von der Pflanze aufgenommen wird, zu niedrigeren Konzentrationen in Pollen und Nektar führt und deshalb eine schwächere Wirkung als Fraßgift (=Toxizität) hat als Markt-Formulierungen. Aus diesem Grund sieht die Richtlinie der EPPO (European and Mediterranian Plant Protection Organization) die Prüfung der vermarkteten Formulierung vor (3). Dass hiervon abgewichen wurde, legt die Vermutung nahe, dass das Risiko für die Bienen bewusst niedrig gehalten werden sollte.
Beschrieben werden 3 Versuche mit Mais (an 3 Standorten) und 2 Versuche mit Raps (an 2 Standorten), die über 4 aufeinander folgende Jahre (2005 - 2008) in Frankreich durchgeführt worden waren. Die Beizung mit Thiamethoxam (als Monopräparat) entsprach der für Mais und Raps in Europa jeweils maximal zugelassenen Aufwandmenge. Warum an mehreren Standorten geprüft wurde - ein im Pflanzenbau gebräuchlicher Versuchsansatz - wird nicht begründet. Angaben zur Lokalisation der Standorte, zum Bodentyp und zum Klima fehlen. Das Beispiel einer jüngst veröffentlichten Feldstudie zur Einwirkung von Neonikotinoiden auf Bienen (19) an 3 Standorten zeigt, dass eine genaue Anbaukartierung mit Hilfe von Geotagging durchführbar ist. An jedem Standort wurden 6 behandelte Völker (sie standen an Feldern aus Thiamethoxam-gebeiztem Saatgut) und 6 Kontrollvölker (an Feldern aus nicht mit Thiamethoxam gebeizter Saat) eingesetzt, insgesamt 60 Völker. Demnach handelt es sich um einen drei-faktoriellen kontrollierten Versuch mit den Faktoren Behandlung, Standort und Versuchsjahr. Die Studie wird zwar nicht als kontrollierter Versuch bezeichnet, sondern als "Feldprogramm", "multiple Expositionsstudie" oder "Langzeit-Überwinterungsversuch", aber das Versuchsziel, die (angebliche) Vermeidung von Störfaktoren, die Legenden der Abbildungen ("behandelter Raps" bzw. "unbehandelter Raps") und die Diktion lassen darauf schließen, dass der Eindruck eines kontrollierten Versuchs (Definition s.u.) erweckt werden soll.
Eingesetzt wurden Weisel-richtige Völker (Königin in Eiablage mit allen Brutstadien), die "soweit wie praktisch möglich normalisiert" wurden. Um das Schwärmen zu verhindern, wurden in den ersten zwei Versuchsjahren vor der Expositionsphase Brutableger gebildet, bestehend aus der Königin, einem Teil Arbeiterinnen, 1-2 Brutrahmen und 1-2 Vorratsrahmen. Der größte Teil der Bienen mit Brut und Vorräten verblieb im Originalvolk, das eine neue Königin bilden sollte und in der darauf folgenden Expositionsphase eingesetzt wurde. Im Rahmen eines Versuchs ist dies eine ungewöhnliche Maßnahme, da sie einen starken Sozialstress für das Volk bedeutet und eine mehrwöchige Brutlücke nach sich zieht. In den weiteren Versuchsjahren wurde die Volksstärke durch Entnahme von einigen Brut- und Vorratsrahmen reduziert.
Kontrolle und Behandlung waren im Abstand von "ungefähr 2 km" aufgestellt. Die Angabe ist vage, warum wurde der Abstand nicht exakt mit GPS bestimmt? Der Abstand war deutlich zu klein, um das Befliegen von behandelten Flächen durch Kontrollbienen und von unbehandelten Flächen durch die behandelten Völker zu verhindern. Bienenvölker nutzen unter Normalbedingungen in 95% der Zeit einen Radius von 2 bis zu 6 km (113 Quadratkilometer), unter extremen Stressbedingungen von 10 km (314 Quadratkilometer) (4).
Jeder Standort war von anderen Bienen-attraktiven Kulturen und anderen Mais- und Rapsfeldern "isoliert". Nachweise für diese "Isolation", zum Beispiel über eine Anbau-Kartierung oder Luftaufnahmen, fehlen.
Die Dauer der Expositionsphase bei Mais (während der Blüte) betrug 2005-2008 fünf bis 8 Tage/Jahr, in 2009 (nach Aussaat von zwei Mais-Varietäten) 19 bzw. 23 Tage, bei Raps 12 bis 22 Tage/Jahr. Anschließend wurden die Völker im Wald abseits von intensiven landwirtschaftlichen Kulturen unter Beobachtung überwintert. Die Begrenzung der Exposition auf eine Woche bis maximal 3 Wochen/Jahr ist unrealistisch kurz und lässt andere Expositionswege, z.B. über Beizstaub, andere Pestizid-behandelte Kulturen und kontaminierte Böden, außen vor.
Die Betreuung der Völker erfolgte "mit üblichen imkerlichen Maßnahmen". Dies ist eine Black Box. Es fehlen entscheidende Angaben: Wie wurden die Völker eingewintert? Wurden - wie in der Imkerei nicht unüblich - schwache Versuchsvölker im Herbst mit Ablegervölkern verstärkt, um Winterverlusten vorzubeugen? Was geschah mit den Ableger-Völkern? Gab es bei ihnen Winterverluste? Wie wurden gestorbene Völker ersetzt?
Die Untersuchungsparameter waren: die Anwesenheit einer gesunden Königin in Eiablage, die Volksstärke (bestimmt nach der Liebefeld-Methode), die geschätzte relative Rahmenfläche mit Eiern, Larven, verdeckelter Brut, Pollen und Nektar, das Brutto-Gewicht des Bienenstocks, die Sammelaktivität* sowie die Anzahl der mit Totenfallen* und ausgelegten Leinentüchern* ermittelten Toten. Die mit * gekennzeichneten Parameter gelten als wenig aussagekräftig, da sie nur relative Veränderungen anzeigen. Ferner sollten die Flugaktivität am Flugloch und das Verhalten beobachtet werden, Ergebnisse werden aber nicht genannt.
Winterverluste. Im März oder April jeden Jahres wurde eine Beurteilung der Brut zur Feststellung des Überwinterungserfolgs durchgeführt. Nach welchen Kriterien sich Beurteilung und Zeitpunkt richteten, wird nicht erläutert. Ergebnisse werden nicht angegeben, es wird lapidar behauptet, Kontroll- und Behandlungsvölker hätten "erfolgreich überwintert". Da hohe Winterverluste als Indiz für Neonikotinoid-Belastung gelten und die Quantifizierung der Winterverluste mehrfach als Versuchsziel angegeben wird, ist diese pauschale Angabe inakzeptabel. Auf Nachfrage wurden Daten mitgeteilt (P. Campbell, persönliche Mitteilung). Daraus ergeben sich im Mittel aller Jahre ungewöhnlich niedrige Winterverluste für Raps (3,3 %) und Mais (6,6 %), ohne erkennbare Unterschiede zwischen Behandlung und Kontrolle. Dabei wurden die erheblichen Völker-Verluste durch Probleme mit der Königin ("male brood only"), die insgesamt 24 Völker in den Monaten März und April betrafen, nicht eingerechnet. Bei COLOSS werden derartige Verluste sinnvollerweise den Winterverlusten zugerechnet, weil das Problem ohne Reserve-Königinnen nicht zu beheben ist. Aus diesen Gründen erscheinen die niedrigen Zahlen unglaubwürdig. International werden Winterverluste im Bereich von circa 10% bis 50% (Schweiz, Winter 2012/2013) und darüber gemeldet.
Die Ergebnisse werden ohne statistische Auswertung (Varianzanalyse) in Form von Mittelwerten grafisch dargestellt, ohne jegliche Angabe von Streumaßen, während im Tunnelversuch zumindest Boxplots gezeigt werden. Stattdessen werden Rohergebnisse in einem Wust von 6 Abbildungen im Text und 24 Abbildungen im Anhang gezeigt. Bei visueller Betrachtung der Mittelwertverläufe lassen sich keine relevanten Unterschiede zwischen Kontrolle und Behandlung erkennen. Die Prüfung von Unterschieden darf sich aus guten Gründen nicht auf den visuellen Eindruck von Mittelwertsgrafiken stützen, da sonst subjektive Einschätzungen mit allen subjektiven Täuschungsmöglichkeiten an die Stelle von nachvollziehbaren Fakten durch Berechnungen treten.
Das Unterlassen einer statistischen Analyse ist bei Vorliegen derart umfangreicher Daten inakzeptabel. Statistische Auswertungen dienen dazu, Schlussfolgerungen aus Daten objektivierbar und nachvollziehbar zu machen. Deshalb ist das Fehlen der statistischen Auswertung ein eklatanter Verstoß gegen die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens. Stattdessen überlassen es die Gutachter der Zeitschrift PLOSONE den Autoren selbst (Mitarbeiter von Syngenta und von Auftragsforschungsinstituten), die Relevanz der Ergebnisse zu beurteilen. Ein solches Vorgehen wird bedauerlicherweise von der EPPO-Richtlinie (3) befürwortet, die bei Feldversuchen dem "Urteil von Experten" das letzte Wort einräumt. Nach dem Urteil dieser Experten zeigen die Ergebnisse "ein niedriges Risiko für Honigbienen von systemischen Rückständen in Nektar und Pollen aus Thiamethoxam-behandeltem Raps und Mais".
Die EPPO-Richtlinie (3) ist widersprüchlich, was die Forderung nach statistischer Auswertung, den Umgang mit Replikaten und die Ablehnung des Bienenstocks als Replikat angeht. Bei Labor- und Semi-Feldversuchen wird eine statistische Auswertung für erforderlich gehalten, nicht so bei Feldversuchen. Ein plausibler, nachvollziehbarer Grund dafür fehlt. Mindestens 4 Bienenstöcke pro Behandlung werden bei Feldversuchen gefordert. Andererseits wird behauptet, nicht der Bienenstock sei die Replikateinheit, sondern das Versuchsfeld. Wofür sind dann 4 Völker pro Versuchsglied gefordert, wenn man die Ergebnisse nur mittelt? Und wieso haben die Autoren sogar 6 Völker pro Behandlung eingesetzt? Könnte es sein, dass die statistische Analyse mit 6 Völkern als Replikate für das Produkt unerwünschte Ergebnisse erbracht hat und deshalb vermieden wurde? Aus statistischer Sicht gibt es keinen triftigen Grund dafür, die Völker nicht als Replikate zu werten. Könnte es außerdem sein, dass sich Industrie-abhängige Teilnehmer bei der Abfassung der EPPO-Richtlinie im Sinne ihrer Auftraggeber so eingebracht haben, dass ihnen genügend Spielraum bei der Interpretation der Daten bleibt?
Kontrollierte Versuche an Bienenvölkern sind außerordentlich schwierig.
Kontrollierte Versuche sollen prüfen, ob ein Wirkstoff ("Behandlung") Wirkung(en) zeigt. Dazu werden Parameter wie Wachstum, Laborwerte, Mortalität u.a. bei behandelten und unbehandelten Tieren (Kontrollen) verglichen. Die Problematik zeigt sich beim Vergleich mit kontrollierten Versuchen an Labortieren.
Labortiere sind auf genetische und gesundheitliche Homogenität gezüchtet. Sie werden zu Versuchsbeginn einzeln nach dem Zufallsprinzip (Randomisation) derart auf die Kontrolle und die Behandlung verteilt, dass Behandlung und Kontrolle im Mittel gleich zusammengesetzt sind. Alle Tiere (Behandlung wie Kontrolle) werden unter gleichen Bedingungen gehalten, die im Versuchsplan festgelegt und fortwährend überwacht werden. Auf diese Weise wird ausgeschlossen, dass unerwünschte Störfaktoren die Parameter beeinflussen, so dass Unterschiede in den Parametern eindeutig auf die Behandlung zurückzuführen sind. Dadurch lassen sich auch schwache Effekte eines Wirkstoffs erkennen, sofern die Zahl der Wiederholungen ausreicht. Ob sich die Parameter von Behandlung und Kontrolle unterscheiden, und ob der Unterschied zufallsbedingt ist oder als signifikant angesehen werden kann, entscheiden statistische Testverfahren.
Bienenvölker sind unvergleichlich variabler als Labortiere. Bienenvölker unterscheiden sich hinsichtlich der Volksstärke, Rasse, Vorbelastung mit Pestiziden (durch imkerliche Maßnahmen und über Pollen und Nektar), und des Gesundheitsstatus (Befall mit Parasiten und Pathogenen). Bienen sammeln bei der Bestäubung zwangsläufig Pestizide, die Belastung ist so umfangreich, dass es heutzutage keine unbelasteten Kontrollvölker mehr gibt. 2012 wurde ein Feldversuch an Hummeln in England (DEFRA; Landwirtschaftsministerium von Großbritannien) frühzeitig abgebrochen, weil die Kontrollvölker belastet waren. Im vorliegenden Fall wurde die Vorbelastung der Versuchsvölker (Pestizid-Profil im Honig und Bienenbrot) nicht einmal untersucht.
Die notwendigen Voraussetzungen für einen validen kontrollierten Feldversuch an Bienenvölkern sind 1.) die randomisierte Zuordnung (strikte Zufallszuordnung) der Völker zu Kontrolle und Behandlung vor Versuchsbeginn und 2.) die weitgehende Vermeidung von Störfaktoren während des Versuchs. Die Randomisierung soll die wesentlichen Variablen wie Herkunft, Rasse, Volksstärke, Legeleistung und Alter der Königin, Gesundheitsstatus und Pestizid-Profil des Bienenbrots auf die beiden Gruppen Kontrolle und Behandlung gleich verteilen. Diese Voraussetzungen waren nicht einmal ansatzweise erfüllt, weil nicht umfassend randomisiert wurde und eine Vielzahl von Störfaktoren nicht kontrolliert wurde oder nicht kontrollierbar war.
Die wichtigsten Störfaktoren sind im Einzelnen:
In der Summe erhöhen diese Faktoren den Versuchsfehler. Dies hat zur Folge, dass ein signifikanter Effekt von Thiamethoxam nicht entdeckt werden konnte und ein falsch-negatives Ergebnis erhalten wurde. Darunter versteht man, dass eine schädliche Substanz fälschlicherweise als unschädlich beurteilt wird. Denn die Ergebnisse beruhen keinesfalls wie behauptet auf den "spezifischen Effekten von Thiamethoxam", sondern auf der Summe aller Einflussfaktoren einschließlich Thiamethoxam und Clothianidin.
Insgesamt gesehen wurde der Feldversuch als "best-case scenario" inszeniert. Dafür sprechen der Einsatz des reinen Wirkstoffs, die Intransparenz der Methoden, die unzureichende Randomisierung, zahlreiche nicht kontrollierte und nicht kontrollierbare Störfaktoren und die fehlende statistische Auswertung.
Die Problematik der FeldversucheDie schädliche Wirkung subletaler Konzentrationen von Thiamethoxam und Clothianidin auf Honigbienen und Hummeln ist durch valide kontrollierte Versuche vielfach und eindeutig belegt (6,7,8,9,10). Diese Versuche werden von den Autoren als "Laborversuche" abgewertet, mit den Attributen "künstliche Expositionsbedingungen" und "unrealistisch", Feldversuche werden dagegen als praxis-relevant und ausschlaggebend herausgestellt.
Drei Feldversuche werden angeführt, um die angebliche Unschädlichkeit von Neonikotinoiden unter Feldbedingungen zu belegen:
Folglich beruht die angebliche Unschädlichkeit der Neonikotinoide unter Feldbedingungen auf der fehlerhaften Interpretation der Ergebnisse durch die jeweiligen Autoren bzw. auf der kritiklosen Übernahme ihrer Ergebnisse durch Pilling et al.
Die Diskrepanz der Ergebnisse von kontrollierten Laborversuchen und Feldversuchen beruht nicht auf der Praxisferne der Laborversuche und der Praxisnähe der Feldversuche, sondern auf der Teststärke (hohe statistische Power) von randomisierten kontrollierten Versuchen und der Testschwäche (niedrige statistische Power) von Feldversuchen. Deshalb lassen sich die Effekte von subletalen Konzentrationen - darum geht es im Thiamethoxam-Feldversuch - allenfalls in umfassenden und bis ins Detail geplanten kontrollierten Versuchen ermitteln. Feldversuche, die diesen Ansprüchen genügen, gibt es bislang nicht. Bei üblichen Feldversuchen bleiben die Effekte im Nebel der Störfaktoren unentdeckt. Man muss davon ausgehen, dass ein erfahrener Versuchsleiter wie der Hauptautor, diesen "Nebel" im Interesse des Auftragsgebers zu nutzen weiß. Dr. P. Campbell war u.a. Leiter des Direktorats für Pestizid-Sicherheit im Landwirtschaftsministerium (DEFRA) von Großbritannien, er leitet heute die Bestäuber-Forschung bei Syngenta.
Die Schwächen von Feldversuchen wurden wiederholt kritisiert (14, 18), notwendige Verbesserungen werden seit Jahren angemahnt. Die EFSA forderte im Guidance Document für Feldversuche eine höhere Zahl an Wiederholungen, um eine ausreichende Empfindlichkeit (statistische Power) zu erhalten und die benötigten Effekte nachzuweisen. (18, Seite 79).
Zuletzt war die Testschwäche von Feldversuchen ein Thema auf dem Symposium über Neonikotinoide in London am 24.1.2014. Dabei wies Prof. D. Goulson (Universität Essex, UK) darauf hin, dass alle großen Entdeckungen der Naturwissenschaft auf kontrollierten Versuchen beruhen, deshalb sei die Ablehnung von Laborversuchen völlig unberechtigt.
Ein innovativer Ansatz für einen valide kontrollierten Feldversuch wurde kürzlich von Henry et al. (9) vorgestellt. Dieser Versuch zeichnet sich durch ein in allen Einzelheiten durchdachtes Design, umfassend kontrollierte Bedingungen und adäquate statistische Auswertung aus. Es wurde die Rückkehr-Wahrscheinlichkeit von individuell markierten Bienen eines Volks bestimmt, nach Behandlung mit einer einmaligen, Feld-realistischen, subletalen Dosis von 1,34 ng Thiamethoxam bzw. ohne Behandlung. Die Flug-Distanz betrug 1 km, auf einer den Bienen nachweislich bekannten Route bzw. auf mehreren ihnen nicht bekannten Routen. Die Behandlung führte zum Verlust von 10% bzw. 31,6% der Bienen (bekannte bzw. unbekannte Route). Die Ergebnisse wurden mit noch empfindlicheren Methoden (Verfolgung der Flüge mit harmonischem Radar) bestätigt (15).
Verantwortung, Qualifikation und Unabhängigkeit der Gutachter. Nach eigener Aussage veröffentlicht das Open Access-Journal PLOSONE Forschungsarbeiten von "hoher Qualität nach fairem, rigorosem Peer Review". Die offengelegten Mängel wären ausreichend gewesen, das Manuskript abzulehnen. Hier stellt sich die Frage, warum die Gutachter und der erfahrene Bienenforscher Dennis van Engelsdorp als Editor nicht frei genug waren, die Veröffentlichung der Arbeit abzulehnen. Die Interpretation der Ergebnisse der Meinung von Interessenvertretern zu überlassen, ist in Wirtschaft und Politik üblich, widerspricht aber dem Sinn der Wissenschaft.
Die Arbeit ist ferner ein Beispiel für die fragwürdige Qualität von Zulassungsversuchen. Sie werden im Auftrag der Behörde von Experten beurteilt, die häufig die Untersuchungen selbst durchgeführt haben, eine kritische Prüfung durch unabhängige Gutachter gibt es nicht. Die Daten werden überdies nicht veröffentlicht und sind einer Nachprüfung durch unabhängige Wissenschaftler unzugänglich. Nach Aussage von Syngenta wurde der Versuch sogar "in Absprache mit den französischen Behörden" konzipiert. Laut EFSA-Protokoll hätten mehrere Bienen-Experten die "exzellente Qualität" hervorgehoben, "die für die regulatorische Risikoeinschätzung detaillierteste und umfassendste Studie seit langem". Die Studie habe sich "sehr bemüht, die möglichen Langzeiteffekte von Thiamethoxam wissenschaftlich zu verstehen" (17). Professor C. Frömmel, Biochemiker in Göttingen, spricht von "Schummeln, ohne zu lügen - die neue Plage der Wissenschaft" und einer "Krankheit, die den Kern der Wissenschaft bedroht: ihre Glaubwürdigkeit" (16).
Wissenschaftliche Forschung bedeutet Hypothesen bewerten und neues Wissen generieren. Wie oben belegt, konnte die Hypothese, Thiamethoxam-Beizung bedeute ein niedriges Risiko für Bienenvölker, aufgrund gravierender Mängel in der Methodik nicht valide bewertet werden. Neues Wissen aus diesem Versuch sucht man vergeblich. Es bleibt der Eindruck eines interessengeleiteten Versuchs ohne wissenschaftlichen Erkenntniswert.
Referenzen
(1) Pilling E, Campbell P, Coulson M, Ruddle N, Tornier I (2013): A four-year field program investigating long-term effects of repeated exposure of honey bee colonies to flowering crops treated with Thiamethoxame. PLoSONE, Vol 8, e77193Danksagung
Wir danken drei unabhängigen Bienenwissenschaftlern für ihr Peer-Review.
Die Autoren
Peter P. Hoppe, Dr. med. vet., Langjährige Erfahrung in akademischer und industrieller Forschung: Vergleichende Physiologie von landwirtschaftlichen Nutztieren und Wildtieren, Tierernährung, Humanernährung. Ehemaliger Leiter der Tierernährungsstation von BASF, Ludwigshafen. Zahlreiche Veröffentlichungen, langjährige Erfahrung als Reviewer. Mitglied von BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz) und NABU. pphoppe@gmx.de
Anton Safer, Dr. rer. biol. hum., Diplom-Agraringenieur Universität Hohenheim, Promotionsstudium Humanbiologie Medizinische Hochschule Hannover; 36 Jahre als Biometriker in der Arzneimittelindustrie tätig: klinische und präklinische Studien (Toxikologie, Pharmakologie); bis Ende 2013 Projektstatistiker am Institute of Public Health/Epidemiology der Universität Heidelberg. Mitglied von BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz). antonsafer@aol.com
Interessenkonflikte
Beide Autoren haben keine Interessenkonflikte. Die Arbeit steht in keinem Zusammenhang mit den dienstlichen Aufgaben von Anton Safer an der Universität Heidelberg.
Finanzielle Unterstützung
Die Arbeit entstand aus eigener Initiative und ohne Unterstützung finanzieller oder anderer Art.
Verbreitung der Arbeit
Die Verbreitung in unveränderter und vollständiger Form unter Nennung der Erstveröffentlichung durch PAN Germany (Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.) ist erwünscht.
Die Verantwortung für den Inhalt des Artikels liegt bei den Autoren.