Biologische Vielfalt - Gibt es dafür eine Sicherungskopie?

"Ein 'gefrorener Garten Eden'" titelt der General-Anzeiger in einem Artikel über die Inbetriebnahme der 'Welt-Saatgutbank' in Spitzbergen. Darin zitiert er den Norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg mit den Worten: "Die globale Samenbank Spitzbergen ist unsere Versicherungspolice."

Gibt es für die Bewahrung der Biologische Vielfalt tatsächlich eine technische Lösung? Lässt sich die Vielfalt in Samenbanken bewahren? Lassen sich aus Samenbanken verschwundene Ökosysteme wiederherstellen?

Um es nochmal klar zu machen: Biologische Vielfalt umfasst mehrere Ebenen: die Vielfalt der Ökosysteme und Lebensräume, die Vielfalt der Arten, und die Vielfalt der Gene.

Lässt sich wenigstens auf der niedrigsten Ebene, nämlich der der Gene, die Vielfalt durch Kryokonservierung bewahren?
Der Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin Deutschland (vbio) berichtet auf seinen Seiten:

"Biodiversität XVII: "CRYO-BREHM" - eisiges Archiv der Wildtiere  27.05.2008 Mit neuer Technik und Methoden zur Stammzellisolierung archivieren Fraunhofer-Forscher den weltweiten Tierbestand. Gemeinsam mit mehreren zoologischen Gärten arbeiten sie an einer Sammlung tiefgefrorener Stammzellen von Wildtieren, dem "CRYO-BREHM". Das Projekt steht in engem Bezug zur derzeit stattfindenden UN-Tagung zum Thema Biodiversität in Bonn.

 Den weltweiten Tierbestand möglichst umfassend zu dokumentieren, war schon immer eine Herausforderung für die Wissenschaft und eine Verpflichtung gegenüber den uns nachfolgenden Generationen. Der deutsche Zoologe Alfred Brehm packte es im neunzehnten Jahrhundert mit einem populären Buch an: "BREHMS TIERLEBEN". Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT im Saarland und die Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie EMB in Lübeck haben nun einen modernen Weg gewählt. Zusammen mit mehreren zoologischen Gärten gründeten sie den "CRYO-BREHM", ein Lebendarchiv, das seit Anfang 2005 tiefgefrorene Stammzellen von Wildtieren sammelt. Unterstützt werden die Arbeiten vom Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium des Saarlandes und vom Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein.

 "Das Tieffrieren ist die einzige Möglichkeit, Zellen lebend und dauerhaft aufzubewahren. Ganze Tiere, die größer sind als ein Stecknadelkopf, kann man bisher nicht lebend einfrieren und auftauen. Das ist auch nicht nötig, da sich in jeder Zelle die gesamte Information über die Art als auch das Individuum befindet", sagt der IBMT-Direktor Prof. Dr. Günter R. Fuhr. Freilich braucht man viel Erfahrung, damit die Zellen bei der Isolation nicht geschädigt oder abgetötet werden. Die beiden Fraunhofer-Einrichtungen bringen das nötige Know-how mit, sie gelten als weltweit führend auf dem Gebiet der Kryokonservierung. "Kryos" kommt aus dem Griechischen und bedeutet Kälte oder Eis. Bei minus 145° Celsius, mit flüssigem Stickstoff gekühlt, bleiben die wertvollen Proben Tausende von Jahren erhalten. Würde man sie unter der Erdoberfläche lagern, wo die kosmische Strahlung stark abgeschwächt ist, wären es sogar Jahrzehntausende.

 Die Vorgeschichte des CRYO-BREHM geht auf das Jahr 2004 zurück. Damals schuf eine EMB-Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Charli Kruse mit einem patentierten Verfahren zum Isolieren tierischer Stammzellen aus den verschiedensten Geweben die Voraussetzung für das biologische Zell-Archiv. Stammzellen eignen sich für diesen Zweck besonders gut, weil sie nicht nur alle Erbinformationen der jeweiligen Art enthalten, sondern sich auch vermehren und in andere Zelltypen umwandeln lassen. Vor drei Jahren begann die Zusammenarbeit mit dem Neunkircher Zoologischen Garten im Saarland. Inzwischen sind auch der Tierpark Hagenbeck in Hamburg, der Zoologische Garten Rostock und mehrere Forschungseinrichtungen dabei, weitere Partner sollen folgen. Vorgesehen ist, ein möglichst umfangreiches Zell-Archiv der wildlebenden Tiere aufzubauen. Stammzellen aus den verschiedensten Geweben - von Fischen über Vögel bis zu Säugetieren - liegen bereits vor.

 Das Besondere ist: "Kein Tier muss dafür sterben oder auch nur Blut hergeben", versichern Fuhr und Kruse. Spender für die Datenbank sind Zoo- und Wildtiere, die bei einem Unfall umkommen oder bei der Geburt sterben. Ihnen entnimmt ein Tierarzt nach dem Tod Gewebe, z. B. Drüsen, Haut und Knochenmark, aus dem dann die unterschiedlichen Stammzellen mit der Erfahrung der Lübecker Forscher isoliert werden. Wenn es um Tierarten geht, die vom Aussterben bedroht sind oder bei deren Stammzellpräparation Neuland betreten wird, schickt das Fraunhofer IBMT eigens ein mobiles Labor mit Mannschaft, das über Brutschränke und Kryotanks verfügt. Auch während der Fahrt kann in speziellen Geräten trotz Erschütterungen die Anzucht der empfindlichen Stammzellen erfolgen.

 Hunderte dieser wertvollen Proben werden zur Sicherheit bereits an zwei Orten gelagert, im saarländischen Sulzbach und am EMB in Lübeck, wo demnächst nach dem saarländischen Modell eine moderne Kryobank entstehen wird. Beide Standorte bilden das Lebendarchiv, das der Dokumentation der Tierwelt und der Forschung dient. Bei Bedarf tauen Fraunhofer-Wissenschaftler eine Probe auf, vermehren die Zellen und versenden sie weltweit. Allerdings darf ein Teil als sicherer Bestand, die sogenannte "Back-up-Reserve", nicht angetastet werden. Weltweit gibt es nur wenige ähnliche Einrichtungen wie den "CRYO-BREHM", etwa den "Frozen Zoo" in San Diego (USA), die "Frozen Ark" in Großbritannien und die russische "Specialised Collection of Domestic and Wild Animals".

 Die Zusammenarbeit mit bisher drei zoologischen Gärten in der Freien Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland garantiert ein kontinuierliches Anwachsen der Bestände. Bei dieser generationsübergreifenden Mission ist bei vielen Tierarten keine Eile geboten, bei anderen schon. Deutschland leistet mit dieser Initiative schon seit längerem einen zukunftsweisenden Beitrag zur Dokumentation und Bewahrung des Artenreichtums auf unserer Erde.  "

Quelle: http://www.vbio.de/informationen/alle_news/e17162?news_id=5325
Behalten wir im Hinterkopf, dass jede Art aus mindestens einer Population von Individuen besteht. Sowohl die Individuen innerhalb einer Population als auch die Individuen verschiedener Populationen unterscheiden sich im Allgemeinen in den genetischen Varianten möglicher Merkmale. Diese Vielfalt der genetischen Varianten der Merkmale ist eine notwendige Voraussetzung für überlebensfähige Populationen. Wird diese genetische Vielfalt reduziert, so kommt es häufig zur sogenannten Inzuchtdepression, d.h. die Population nimmt stark ab oder kann sogar zusammenbrechen. Der Grund dafür ist, dass durch die Inzucht vermehrt Merkmale homozygot auftreten, die mögliche Defekte tragen. Bei Lebewesen, die für dieses Gen eine weitere Genkopie ohne Defekt tragen, also heterozygot sind, kann dieser Defekt ausgeglichen werden bzw. kommt nicht zur Ausprägung.

Um eine Art wirklich als Backup aufzuheben, müsste im Prinzip auch die ganze Variationsbreite der entsprechenden DNA hinterlegt werden, andernfalls werden wir nie wieder überlebensfähige Populationen dieser Art herstellen können.
Die Auswahl der Genvarianten, die eingefroren werden, kann immer nur klein und eine zufällige Variante sein. Nicht nur wegen des zur Verfügung stehenden Platzes, sondern auch weil die Auswahl der Arten und Individuen von der Kenntnis, der Aufmerksamkeit und dem zufälligen Zusammentreffen mit den Probenehmern abhängt.

Wir können also noch nicht einmal überlebensfähige Populationen einmal ausgestorbener Arten wiederherstellen. Noch viel weniger können wir wechselseitigen Beziehungen oder gar die Lebensräume oder Ökosysteme wieder herstellen.
Kryokonservierung kann also keine Alternative für die InSitu-Erhaltung, d.h. der Erhaltung vor Ort in und mit dem Lebensraum, sein.

Nur für die Forschung und die Pharma-Industrie, denen es reicht, auf die Zellen zugreifen und diese vermehren zu können, die aber an einer Art außerhalb ihres Labors wenig Interesse haben, stellt die Kryokonservierung eine Lösung dar.

Insofern ist die Formulierung "zukunftsweisenden Beitrag zur Dokumentation und Bewahrung des Artenreichtums auf unserer Erde" Augenwischerei. Für eine Dokumentation reicht das, für die Bewahrung nicht.

Am 11.07.2008 von Diethelm Schneider verfasst.