Saatgutrecht und Biologische Vielfalt

Nicht nur mit Patenten werden Konkurrenten aus dem Feld gedrängt. Auch die Sortenverordnung reduziert die Vielfalt auf dem Acker.
Aus aktuellem Anlass hier eine Pressemeldung des Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt.

EuGH bestätigt Verkaufshürden für Saatgutvielfalt


Kokopelli und Erhalterinitiativen in Europa befürchten Nachteile bei der anstehenden EU-Saatgutrechtsreform

Bei der derzeitigen Überarbeitung des EU-Saatgutrechts spielt das Kokopelli-Urteil des EuGH vom 12. Juli 2012 den Agrarkonzernen in die Hände, so der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt. Der EuGH bestätigt nämlich das bestehende Saatgutrecht, das die Erhalterorganisationen seit langem kritisieren, weil es zum dramatischen Verlust der Kulturpflanzenvielfalt der vergangenen Jahrzehnte beigetragen hat. Die Pressemitteilung des EuGH, auf die sich viele Kommentare berufen, preist die sogenannte Erhaltungssorten-Richtlinie und verschweigt die große Bedeutung nicht zugelassener Sorten für die landwirtschaftliche Vielfalt. Es dürfen nach wie vor nur zugelassene Sorten verkauft werden. Das Ziel laut EuGH, 'schädliches Saatgut' zu verhindern, hat das EU-Saatgutrecht durch seine Begünstigung von Industriesorten mit hohem Bedarf an Agrochemie gründlich verfehlt.

Die seit 2009 geltende Erhaltungssorten-Richtlinie hat die Lage nicht verbessert, sondern verschärft. Bauern, die Saatgut seltener Sorten verkaufen wollen, müssen nicht nur eine Zulassung beantragen, sondern sich mit anderen abstimmen, damit sie eine amtlich vorgegebene Gesamtmenge auf dem Markt nicht überschreiten - "gerade so, als ob es bereits zu viele traditionelle Sorten gäbe. Dabei sind drei Viertel aller Sorten laut Weltlandwirtschaftsorganisation FAO bereits verloren", kommentiert Susanne Gura vom Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt.

Gemüsesorten insbesondere müssen nicht nur zur Zulassung angemeldet werden, sondern die EU schreibt maximale Packungsgrößen vor und verlangt eine Buchführung über jedes verkaufte Gramm Saatgut. Nach Angaben des Gesetzgebers beträgt der Verwaltungsaufwand in Deutschland für den Sortenerhalter zwischen 5,5 und 11 Stunden pro Sorte und Anbausaison, hinzukommen die Zulassungsgebühren. "Für Erhalter, die Hunderte von Sorten allerdings nur in kleinen Mengen verkaufen könnten, ist das ein immenser Aufwand, der über den Verkauf nicht wieder hereinkommt",  so Roland Wüst von Freie Saaten. Der kleine Erhalterverein Freie Saaten, der ca. 1200 Sorten pflegt, würde nach der derzeitigen Regelung zwischen 36.000 und 252.000 €  Zulassungsgebühren und für Verwaltung jährlich einen Arbeitsaufwand von ( z.B. bei 20 € Brutto-Stundenlohn) zwischen 132.000 und 264.000 € leisten müssen. "Ein solcher Betrag könnte durch die verkauften Mengen keinesfalls erwirtschaftet werden", erläutert Roland Wüst. Die Konsequenz: Nur wenige Sorten wurden bisher angemeldet. Erhalter geben stattdessen Saatgut gegen eine Spende ab und müssen riskieren, dass dies rechtlich als Verkauf gewertet wird.

In Frankreich war die Erhalterorganisation Kokopelli, die dort zahlreiche alte und seltene Sorten pflegt, von der Züchtungsfirma Graines Baumaux wegen Verkaufs von nicht zugelassenen Sorten verklagt worden. Die Vorabentscheidung des EuGH erschwert Kokopellis Verteidigung vor dem zuständigen französischen Gericht. Graines Baumaux, Jahresumsatz 14 Millionen €, verlangt eine Zahlung von 100.000 € und die Einstellung des Verkaufs von Saatgut durch Kokopelli. Das wäre ein schwerer Schlag gegen eine der wichtigsten Erhalterorganisationen in Frankreich.

In ganz Europa bestehen rechtliche Risiken für Erhalter. Erst vor kurzem wurden die Besitzer der Farm Neslinko in Lettland wegen Verkaufs von Saatgut auf einer Gartenclub-Veranstaltung ordnungsrechtlich belangt.

Dass die 'Erhaltungssorten-Richtlinie' der biologischen Vielfalt diene, leitet der EuGH lediglich aus dem erklärten Ziel der Richtlinie ab, nicht etwa aus ihren konkreten Regelungen und deren Folgen für die Erhalter von Saatgut traditioneller Sorten. Die von Kokopelli vorgeschlagene Alternative, dass Saatgut-Erzeuger Vielfaltssorten entsprechend etikettiert ohne eine staatliche Zulassung verkaufen dürfen, verwirft der EuGH, weil damit Saatgut verkauft werden könne, "das keine bestmögliche landwirtschaftliche Produktion erlaube." Die "bestmögliche Produktion" sei aber nur durch homogene Sorten gewährleistet, glaubt der EuGH und folgt damit der Sichtweise der mächtigen Agrarkonzerne, die homogene Sorten und Agrochemie als Geschäftsmodell verknüpfen. Homogenität, d.h. genetische Gleichförmigkeit, ist eine Bedingung für die Zulassung. Sie hat zur Verdrängung der traditionellen Sorten mit großer genetischer Breite erheblich beigetragen. Sorten mit großer genetischer Breite jedoch sind gerade heute von großem Wert für die Landwirtschaft, denn sie können sich ohne chemische Hilfsmittel an unterschiedliche Herausforderungen anpassen. Dass der Einsatz von Agrarchemie eben nicht die "bestmögliche landwirtschaftliche Produktion" ist, hat sich nach mehreren Jahrzehnten längst erwiesen, betonen Kokopelli und viele weitere Fachorganisationen in Europa und anderswo. Wie zum Hohn will das Saatgutrecht laut EuGH "schädliches Saatgut" von den Äckern Europas fernhalten.

Die höchste europäische Rechtsinstanz hat ihr Urteil aus der Sichtweise der Agrarkonzerne abgeleitet und sogar unüblicherweise das eigene Gutachten, den Schlussantrag der Generalanwältin Kokott verworfen. "Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, der offensichtlich dazu beitragen soll, Forderungen der Erhalterorganisationen eine Absage zu erteilen", so der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt. Das Urteil, vom Saatgutindustrieverband ESA zufrieden begrüßt, ist im Zusammenhang mit der derzeit laufenden - 'Better Regulation', d.h. bessere Gesetzgebung genannten -  Reform des EU-Saatgutrechtes zu sehen. Laut ESA gehören alte Sorten nicht auf  Felder und Gärten, sondern in Genbanken. Saatgut-Erhalterinitiativen fordern unter anderem rechtssichere Möglichkeiten, Saatgut traditioneller Sorten ohne jeden bürokratischen Vorgang direkt an nicht-kommerzielle Nutzer zu verkaufen. Sie pflegen ein essenzielles Welterbe der Menschheit und wollen die Kosten dafür decken können. Das EuGH-Urteil, das nach einer fundamentalen Kritik durch seine Gutachterin nun in einer Kehrtwende die bestehenden Regelungen bestätigt hat, ist nicht Hilfe, sondern Hindernis für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt.

Link zum Urteil des EuGH: http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-59/11

Link zur Pressemitteilung des EuGH: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2012-07/cp120097de.pdf

Link zu Kokopelli: http://kokopelli-semences.fr



Weitere Informationen:

Dr. Susanne Gura, Tel.: 0049 177 669 1400, Email: gura@dinse.net

Roland Wüst, Freie Saaten e.V.  Tel.: 06324966061, Email:  mail@freie-saaten.org;    www.freie-saaten.org/

Im Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V. haben sich 15 Organisationen zusammengeschlossen, die die landwirtschaftliche Biodiversität in der Kulturlandschaft stärken wollen. Tätigkeitsschwerpunkte sind Vernetzung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit; politische Interessenvertretung; sowie Austausch mit relevanten wissenschaftlichen und Umweltorganisationen im In- und Ausland. www.kulturpflanzen-nutztiervielfalt.de
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Quelle: Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt e.V., Pressemitteilung 16. Juli 2012

Dazu auch ein informativer Film:


Siehe dazu auch die Seite http://www.saatgutkampagne.org/.

Eine aktuelle Buchbesprechung, die auch zu diesem Thema passt:

Buchempfehlung: Kein Brot für die Welt - Die Zukunft der Welternährung

Wilhelm Knabe [wilhelmknabe @ gmx.de] schrieb:

"Kein Brot für die Welt" ist ein Weckruf für Alle, die bisher noch an die Sicherheit der Welternährung glaubten. Zu Vieles spricht mittlerweile dafür, dass die fetten Jahre der Nahrungsmittel-überschüsse endgültig vorbei sind. Der Autor und Agrarwissenschaftler Wilfried Bommert zeigt, warum die Schere zwischen Nahrungsmittelproduktion und Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten immer weiter auseinander klaffen wird, wo sich die Hotspots der Welternährungskrise entwickeln, was passieren wird, wenn "business as usual", das Prinzip der Welternährungspolitik bleibt und wo die Spielräume liegen, um die Krise abzuwenden.

Angedeutet hat sich die Krise schon seit Jahren. Doch das Signal der dahin schmelzenden Getreidevorräte wollte keiner sehen und das Phänomen der seit Jahren sinkenden Produktivität auf den Äckern wollte keiner der Verantwortlichen wahrnehmen. Die Politiker haben die Augen davor verschlossen, dass die industrielle Landwirtschaft am Scheitelpunkt ihrer Produktivität angekommen ist. Ein Bündel von Ursachen stellt die Ernährungssicherheit in Frage.

Ein Grund liegt im Boden, der die Welt ernährt. Er schrumpft dramatisch. Die Bodenfruchtbarkeit ist das Opfer der industriellen Landwirtschaft. Eine ganze Handvoll von Fehlern in der Bewirtschaftung führt dazu, dass immer mehr fruchtbarer Boden durch Regen- und Winderosion davon getragen wird. Antiquierte Bewässerungskonzepte versalzen ganze Landstriche. Mehr als ein Drittel der Ackerböden weltweit hat bereits seine Leistungskraft eingebüßt. Weiteren Millionen von Hektar droht das gleiche Schicksal. Aber auch auf den verbleibenden Flächen sind die Ernten nicht mehr sicher. Der Kampf um Wasser hat in vielen Regionen der Welt schon begonnen. Wachsende Industrien und ausufernde Städte verlangen ihren Anteil an den Wasserreserven der Welt. Der Verteilungskampf kennt nur einen Verlierer und das ist letztlich die Nahrungsmittelproduktion. Dieser Verlust an Wasser, Boden und Klimastabilität geht einher mit einer steigenden Anfälligkeit der modernen Hochleistungspflanzen. Der Siegeszug der Monokulturen führt die Welternährung auf einen höchst riskanten Weg. Auch die "Grüne" Gentechnik trägt hier nicht zur Entspannung bei. Auch ihre Monokulturen besitzen bei unerwarteten Seuchenzügen keine hinreichende Abwehrkraft, wie am Ausbruch des Asiatischen Sojabohnenrostes in Amerika gezeigt wird.

Auch dem Bemühen, die genetische Vielfalt der Pflanzenwelt durch ein Welt-Genbanken-System zu retten, räumt der Autor keine echten Chancen ein. Denn die eigentlichen Entscheidungen über das, was auf den Äckern der Welt angebaut wird, liegen bei den großen Saatgut- und Chemie-Konzernen, bei denen Vielfalt nicht zum Geschäftsmodell gehört. Das brüchige Fundament der Welternährung wird durch den Klimawandel weiter geschwächt. Schon heute führt er mit Dürren und Überschwemmungen zu Einbußen auf den Feldern von den USA bis China. Die Höchstleistungssorten des modernen Ackerbaus sind den Wetterkapriolen des Klimawandels nicht gewachsen.

Der schrumpfenden Produktionsgrundlage für Lebensmittel stellt der Autor den Bedarf gegenüber, wie er sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird und kommt zu einem wachsenden Defizit. Um nur die Nachfrage zu stillen, die durch die wachsende Weltbevölkerung von 6 auf 9 Milliarden Menschen bis zur Mitte der Jahrhunderts entstehen wird, müssten die Ernten dramatisch wachsen. Wenn man die steigende Lust auf Fleisch hinzurechnet, die in den neuen Mittelschichten vor allem in Asien wächst, müssten die Ernten bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppelt werden. Hinzu kommt als neuer Konkurrent um die Äcker der Welt die Energiewirtschaft. Sie will in Zukunft einen Teil ihrer Rohstoffe aus der Landwirtschaft holen. Doch der Traum vom Biosprit als Alternative zu den schwindenden Rohölreserven könnte, so warnen die Experten der FAO schon heute, schon bald zu einem Paradigmenwechsel auf den Lebensmittelmärkten führen. Schon im den nächsten Jahrzehnt könnte der Erdölpreis zur Meßlatte für den Preise von Nahrungsmitteln werden. Damit drohen weitere Preisexplosionen auf den Märkten und weitere Millionen werden den Weg von der Armut in den Hunger gehen.

Eine Lösung für dieses Dilemma hat weder die Wissenschaft noch die Politik zu bieten. Die Wissenschaft nicht, weil ihr schon über Jahrzehnte hinweg die Gelder für die öffentliche Forschung gekürzt wurden. Und auch die internationale Politik zeigt sich unfähig zu einem Richtungswechsel, weil sie sich mehr und mehr als Sprachrohr der Interessen versteht, die den Weg in die Krise bereitet haben. Am Bespiel des Krisengipfels der FAO zur Welternährung 2008 erhält der Leser Einblick hinter die Kulissen und erkennt, wer die wirklichen Fäden in der Welternährungspolitik zieht, die Lobbyisten der internationalen Lebensmittel- und Agrarkonzerne. Sie haben kein Interesse an einem Kurswechsel, weil sie zu den Krisengewinnlern gehören.

Bisher zeigt die Weltpolitik weder Neigung noch Mut, den Weg in die Krise abzubremsen oder eine Kehrtwende einzuleiten. Damit könnte die Tragödie ihren Lauf nehmen. Doch mit diesem Szenario des Untergangs gibt sich das Buch nicht zufrieden. Der Leser erfährt, dass es Alternativen gibt, Vorschläge zum Politikwechsel, wie sie beispielsweise vom Weltagrarrat erarbeitet wurden sowie vielversprechende Ansätze von privaten Entwicklungs-organisationen. Diese Lösungswege erfordern jedoch einen radikalen Perspektivwechsel. Nicht die entwicklungspolitischen Großprojekte der Regierungen, sondern die Small-Business-Konzepte der Nichtregierungs-organisationen zeigen, wie die Welternährung wieder ein solides Fundament bekommen könnte.

Am Ende der rund 350 Seiten, gefüllt mit Geschichten und Reportagen aus den Brennpunkten der Welternährung, mit den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Zukunft der Welternährungspolitik, mit mehr als 40 Grafiken und Tabellen, keimt doch noch Hoffnung auf. Die Welternährungs-krise ist abwendbar. Die Kraft dazu sieht der Autor nicht in den Kreisen der offiziellen Entwicklungspolitik, sondern in den Organisationen der Zivilgesellschaft.

"Kein Brot für die Welt" legt, über die Erkenntnis der Krise hinaus, das Fundament für eine neue Debatte über die Rolle der Zivilgesellschaft. Damit ist es mehr als ein Krisen-Szenario. Es markiert den Anfang einer neuen Strategie für die Zukunft der Welternährung.

Kein Brot für die Welt -
Die Zukunft der Welternährung
Von Wilfried Bommert
Riemann Verlag 2009
ISBN 978-3-570-50108-5

Quelle: http://www.cl-netz.de/foren/cl.politik.globalisierung/Buchempfehlung%3A-Kein-Brot-f%FCr-die-Welt-Die-Zukunft-der-Weltern%E4hrung-59131.html

Am 01.08.2012 von Diethelm Schneider verfasst.